Wolfgang Hohlbein -
übrig, als mich hier auszukennenl« antwortete der Arzt spöttisch.
Es dauerte einen Moment, bis Tobias überhaupt begriff, was er gerade gehört hatte. »Ihr kommt öfter hierher?« fragte er aufgeregt.
»Dann und wann. Die Menschen hier sind zäh. Sie werden selten krank, und wenn, rufen sie mich noch seltener. Sie haben kein Geld, mich zu bezahlen.«
»Dann seid Ihr am Ende vielleicht sogar der, der Verkolt behandelt hat?«
»Nein«, antwortete der Arzt. »Ich bin der, der ihn nicht behandelt hat. Ich wollte es - aber sie hat mich davongejagt.«
»Aber Ihr habt ihn gesehen?«
»Sicher.«
»Wurde er vergiftet?« fragte Tobias gerade heraus.
Der Arzt zögerte einen kurzen Moment. Dann nickte er.
»Soweit ich das beurteilen kann, ja«, sagte er.
»Was soll das heißen - soweit Ihr das beurteilen könnt?«
»Ich habe ihn nicht gründlich untersucht. Katrin hat es nicht zugelassen. Sie hat sich wie eine Furie aufgeführt, als ich ihn auch nur anrühren wollte. Aber ich denke, es war Gift. Eines, das sehr langsam wirkt, aber unerbittlich.«
»Wißt Ihr, welches?«
Sein -Gegenüber lachte. »Nein, Pater. Wenn diese Frau wirklich vom Teufel besessen ist, wie die Narren hier behaupten, wißt Ihr dann, um welchen Dämon es sich handelt?«
Tobias sah ihn verwirrt an, und der Arzt fügte mit einer erklärenden Geste hinzu: »Seht Ihr, ich kenne die Zusam-mensetzung und Wirkungsweise etlicher hundert Gifte. Und es gibt etliche weitere hundert, deren Wirkung ich nicht genau kenne - und wahrscheinlich tausend, von denen ich 123
bisher noch nicht einmal gehört habe. Hätte ich Verkolt untersuchen können, gleich nachdem er starb, dann hätte ich Euch vielleicht Genaueres sagen können. Aber so . . .«
Er zuckte bedauernd mit den Schultern.
Tobias war enttäuscht, wenn auch nicht sehr. Es wäre ver-messen, vom Schicksal zu verlangen, daß es ihm so einfach gemacht wurde. Nach einer Pause fuhr er fort:
»Ich nehme an, Ihr wißt, warum ich hier bin?«
»Natürlich.«
»Dann werdet Ihr es mir nicht übel nehmen, wenn ich Euch vielleicht als Zeugen lade.«
»Doch - das nehme ich übel. Aber ich glaube, ich kann Euch nicht daran hindern.«
»Kaum«, antwortete Tobias lächelnd. Er wurde sofort wieder ernst. »Euch ist nicht daran gelegen, vielleicht einem Unschuldigen zu helfen - oder eine Schuldige zu überführen?«
»Mir ist nicht daran gelegen, mich mit diesem Grafen anzulegen«, antwortete der Arzt. »Theowulf ist verrückt.
Und er ist gefährlich. Die Leute hier fürchten ihn wie die Pest. Und sie haben allen Grund dazu.«
»Wieso?«
Bressers Rückkehr hinderte den Arzt daran, zu antworten
- worüber er sichtlich aufatmete. Das Thema behagte ihm nicht.
Bresser brachte gleich einen ganzen Arm voller kleiner, staubiger Fläschchen und Töpfe, die mit schmalen, in einer krakeligen Handschrift beschrifteten Zetteln versehen waren. Der Arzt suchte eines der kleinen Fläschchen heraus, wollte es Bresser geben, er reichte es dann aber Tobias.
»Davon eine Messerspitze, in etwas Wasser gelöst«, sagte er. »Alle zwei Stunden.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles«, bestätigte der Arzt. »Lediglich die kalten Wadenwickel, mit denen Ihr schon angefangen habt. Der Rest bleibt dem Willen Gottes überlassen.«
Tobias verstaute das Fläschchen sorgsam in einer Tasche seiner Kutte und sah zu, wie Bresser den Rest wieder forttrug
- offensichtlich nicht zurück in den Keller, denn er kehrte 124
schon nach Augenblicken zurück und setzte sich ungefragt zu ihnen, so daß sie ihre unterbrochene Unterhaltung nicht fortsetzen konnten. Tobias ärgerte sich darüber. Aber letztendlich befand er sich in Bressers Haus. Er konnte ihn schlecht ohne triftigen Grund aus dem Zimmer jagen.
Der Arzt hatte sich eigentlich verabschieden wollen, aber dem Drängen Marias, zu bleiben und mit ihnen das Abendessen einzunehmen, gab er gerne nach. Maria verstand einen Gast zu bewirten: Es gab Hirse und sogar ein gutes Stück Fleisch, das dem Arzt ganz offensichtlich mundete.
Als sie gegessen hatten, sprach Tobias ein kurzes Dankes-gebet, und der Arzt erhob sich, um zu gehen.
»Ich begleite Euch noch ein wenig«, sagte Tobias und machte gleichfalls Anstalten aufzustehen. Mit einem raschen Seitenblick in Bressers Richtung fügte er hinzu: »Nach dem Essen gehe ich immer noch ein paar Schritte. Eine alte Gewohnheit.«
Bresser schwieg dazu, aber er tat es auf eine Weise, die Tobias deutlich sagte, wie wenig er von dieser Gewohnheit
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