Wolfgang Hohlbein -
ist mit den Ernten geschehen?«
»Sie wurden zerstört«, sagte Bresser.
»Ein Unwetter?« fragte Tobias.
»Nein«, antwortete Bresser. Und plötzlich zitterte seine Stimme, und seine Augen flammten in einem Zorn auf, den Tobias niemals bei ihm erwartet hätte. »Das war die Hexe, Pater. Ich weiß, Ihr hört das nicht gerne. Aber es ist die Wahrheit. Sie hat diese ganze Stadt verhext!«
Tobias sah ihn zutiefst verstört an. Aber er beherrschte sich. »Seit zwei Tagen höre ich nichts anderes, Bresser«, sagte er. »Jedermann erzählt mir, daß diese Stadt verflucht ist. Daß dies und jenes geschehen ist. Aber niemand sagt mir, was passiert ist. Wie soll ich über irgend etwas richten oder euch helfen, wenn ich nicht weiß, wogegen ich
kämpfe?«
»Gegen das allmächtige Böse, Pater«, antwortete Bresser ernst. »Ihr habt es gestern abend gesehen. Und gestern morgen im Wald.«
»Ihr habt also doch etwas gesehen«, sagte Tobias.
»Nein«, antwortete Bresser. »Aber Ihr. Ihr wart bleich wie der Tod. Und nicht, weil Ihr einen Schatten erblickt habt.
Ich will nicht wissen, was es war. Die Angst eines Mannes gehört ihm allein. Aber Ihr wißt, daß ich nicht lüge. Etwas geschieht hier. Und wenn es nicht die Hexe ist, dann findet heraus, was sonst. Helft uns!«
Tobias war erschüttert. Von Bresser hatte er diese Worte nicht erwartet. Und er spürte auch, daß er sie nie wieder hören würde. Es hatte Bresser all seine Kraft gekostet, sie hervorzubringen.
»Das werde ich«, versprach er. »Und jetzt bringt mich zu ein paar Leuten, mit denen ich reden kann.«
Bresser starrte ihn für einen Moment durchdringend an, dann drehte er sich mit einer abrupten Bewegung herum und deutete - scheinbar wahllos, wie es Tobias vorkam - auf das erstbeste Haus.
Der Rest des Vormittages verlief so, wie Tobias erwartet 148
hatte: Er sprach mit einem halben Dutzend Männern und Frauen, und fast alle hatten etwas zu berichten, was mit der Hexe zu tun hatte: Der eine hatte ein Geschwür, das sie ihm angehext hatte, dem zweiten war die Katze gestorben, nachdem Katrin sie angeblickt hatte, der dritte wußte von einem, dessen Kuh ein Kalb mit zwei Köpfen zur Welt brachte, nachdem die Hexe sie berührt hatte . . .
Tobias hörte aufmerksam zu, auch wenn die Geschichten sich zu wiederholen begannen. Das meiste, was er erfuhr, war der übliche Unsinn, wenn es irgendwo hieß, eine Hexe treibe ihr Unwesen. Die Indizien aber fehlten. Doch gerade Beweise brauchte er, wollte er die Anklagepunkte gegen Katrin widerlegen. Das Volk von Buchenfeld mochte Unsinn erzählen, aber es glaubte fest an diesen Unsinn, daher war es schwierig, ohne Gegenbeweise eine gesicherte Verteidigung aufzubauen. Doch wie sollte er gegen Hexenmärchen vorgehen? Sollte er, der Inquisitor, dem Volk sagen, es gäbe keine Hexen, wo er doch selbst schon Hexen verfolgt hatte?
Als sie mit einem Dutzend Leute gesprochen hatten, fand Tobias die Gelegenheit günstig, noch einmal mit Derwalt zu reden, diesmal in aller Offenheit, so daß ihre Unterhaltung eher dazu beitragen mußte, den Mann zu beruhigen. Bresser hatte zwar mehr oder weniger die Führung übernommen, aber Tobias hatte schon ein paarmal willkürlich an einer Tür gepocht, so daß der Helfershelfer des Grafen kein Miß-
trauen schöpfte, als er sich jetzt Derwalts Haus zuwandte und anklopfte.
Niemand öffnete, kein Geräusch war zu hören, Tobias klopfte noch einmal. »Wer wohnt hier?« fragte er dann.
»Derwalt«, antwortete Bresser. Tobias hielt ihn genau im Auge, aber Bresser schien keinen Verdacht geschöpft zu haben. »Er ist oft fort. Ich glaube, er hilft im Moment dabei, Temsers Scheune wieder aufzubauen. Sie brannte vor ein paar Wochen nieder«, fügte er auf Tobias' fragenden Blick hinzu. »Und auch das ein Werk der Hexe.«
»Natürlich«, sagte Tobias. »Was sonst?«
»Warum geht Ihr nicht zu ihm und fragt, was geschehen ist?« fragte Bresser ärgerlich. »Es war ein Blitzschlag - am 149
hellichten Tag, ohne daß auch nur eine Wolke am Himmel gesehen wurde. Und wenn Ihr schon einmal dabei seid, dann fragt auch gleich den Müller, was mit seinem Korn geschehen ist! Aber Ihr wollt die Wahrheit ja gar nicht wissen!«
Das waren mutige, beinahe aufrührerische Worte für
einen Mann in Bressers Position, fand Tobias. Aber vielleicht war er auch nur verzweifelt. Und zumindest in einem Punkt hatte er recht.
»Das werde ich tun«, versprach er. »Laßt uns zurückgehen und eine Kleinigkeit essen,
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