Wolfgang Hohlbein -
kleben blieb und dünne, ekelige Fäden zog.
»Heiliger Dominikus!« flüsterte er erschrocken. »Was ist denn das?!«
»Das hat sie getan!« antwortete der Müller in einem kalten, fast teilnahmslosen Zorn, der Tobias mehr erschreckte, als hätte er geschrien. »Die Arbeit eines halben Jahres, dahin in einer Nacht.«
Tobias sah irritiert auf. Das Gesicht des Müllers blieb ausdruckslos, nur in seinem eigenen, sehenden Auge flackerte 154
es. Sein Mund war ein dünner Strich, die Lippen so fest auf-einandergepreßt, daß das Blut daraus gewichen war.
»Das müßt Ihr mir erklären«, sagte er. »In diesen Säcken war -?«
»Mehl«, unterbrach ihn der Müller. »Das feinste Mehl, das man sich vorstellen kann. Alles, was von der Ernte übrig-blieb, die mager genug ausfiel.«
Tobias betrachtete zweifelnd das knappe Dutzend aufge-quollener Säcke. Bresser rief gegen das Ächzen des Mühlra-des: »Wir haben das meiste verbrannt, weil wir fürchteten, daß ein Fluch darauf liegt. Das da haben wir liegengelassen, damit Ihr es Euch ansehen könnt.«
Seinen Widerwillen unterdrückend, trat Tobias ein Stück vor und beugte sich über den aufgeschlitzten Sack. Es fiel ihm schwer, zu glauben, daß diese widerlich riechende Masse jemals Mehl gewesen sein sollte. Ein dünnes Pilzgeflecht durchzog den Sack wie das Netz einer Spinne, und hier und da wimmelten Maden. Tobias schluckte, als sich bittere Galle unter seiner Zunge zu sammeln begann.
»Es ist ziemlich feucht hier drinnen, nicht wahr?« fragte er zögernd. »Ich meine, könnte es nicht sein, daß -«
»Nein, das könnte nicht sein«, unterbrach ihn der Müller grob, noch ehe er überhaupt zu Ende sprechen konnte. »Ich bin zeit meines Lebens Müller. Mein Vater war es, und dessen Vater. Ich verstehe mein Handwerk. Ich weiß besser als Ihr, daß das hier nicht der richtige Ort ist, um Mehl zu lagern. Aber es sah auch schon so aus, ehe wir es hierher brachten. Vielleicht nicht ganz so feucht, aber genauso verdorben. Ich habe einem Hund davon zu fressen gegeben. Er ist daran gestorben.«
Angesichts der fauligen Masse konnte Tobias darüber nicht verwundert sein. Was ihn erstaunte war, daß der Hund es gefressen hatte.
»Dann zeigt mir den Platz, an dem ihr es aufbewahrt habt«, verlangte er.
»Das geht nicht«, antwortete Bresser anstelle des Müllers.
»Wir haben die Scheune verbrannt. Zusammen mit allem, was sie enthielt.«
155
Tobias hatte fast mit einer solchen Antwort gerechnet.
Eine Zeitlang starrte er das klebrige, widerliche Zeug mit einer Mischung aus Ekel und Erschütterung an, dann nickte er niedergeschlagen und wandte sich um. »Erzählt mir, was passiert ist«, sagte er. »Aber nicht hier. Es ist kalt hier drinnen. Ich bin ein wenig empfindlich, was das angeht«, fügte er mit einem angedeuteten Lächeln hinzu.
Der Müller grunzte eine unverständliche Antwort, drehte sich aber gehorsam um und verließ die Mühle. Sie gingen über die schmale Brücke zurück ans Ufer und wandten sich nach rechts, wo sich ein kleines, strohgedecktes Haus erhob. Tobias hatte es bisher nicht gesehen, weil es hinter der Mühle stand.
Daneben entdeckte er die brandgeschwärzten Ruinen der Scheune. Der Anblick überraschte den Mönch ein wenig. Das Gebäude so einfach niederzubrennen mußte riskant gewesen sein. Daß die Flammen nicht auf das Wohnhaus des Müllers übergegriffen hatten, war fast ein kleines Wunder.
Sie betraten das Haus. Auch hier herrschte jene unangenehme Finsternis, denn alle Fenster waren verschlossen, und das Ölpapier sah aus, als hätte es schon vor fünf Jahren aus-gewechselt werden müssen. Aber zumindest war der Raum trocken.
Tobias, Bresser und ihr Gastgeber setzten sich, während die Müllersfrau einen Krug Bier und Brot brachte. Tobias nippte an dem Bier, schüttelte aber den Kopf, als der Müller auf das Brot deutete. Er war nicht hungrig.
»Also, erzähl ihm alles«, sagte Bresser grob. »Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen noch zu Temser - und vielleicht zum Grafen.«
»Wozu die Mühe?« fragte der Müller zornig. »Reicht nicht, was du hier gesehen hast?«
»Ich habe einen Sack verfaultes Mehl gesehen«, antwortete Tobias - fast schärfer, als er wollte. Die scheinbar grundlose Feindseligkeit des Müllers verwirrte ihn. »Mehr nicht. Ihr wolltet mir erzählen, wie es dazu kam?«
Der Müller blickte ihn fast zornig an. Aber seine Stimme klang beherrscht, als er sprach. »Das ist rasch erzählt. Die Hexe hat es
Weitere Kostenlose Bücher