Wolfgang Hohlbein -
Bresser. Und danach bringt Ihr mich zu diesem Temser - und dem Müller.«
»Heute noch?«
»Warum nicht?«
Bresser zögerte einen Moment. Er sah zum Himmel. »Es ist schon spät. Die Zeit wird nicht reichen, um beide zu besuchen. Nicht, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein wollen.«
Tobias ersparte sich eine Antwort. Nach seinem eigenen Erlebnis vom gestrigen Abend verstand er die panische Furcht der Buchenfeldener, nach Sonnenuntergang ihre Häuser zu verlassen, nur zu gut.
»Das Schloß des Grafen«, sagte er, »wo liegt es? In der gleichen Richtung?«
»Nicht direkt«, antwortete Bresser. Aber er hatte verstanden, worauf Tobias hinauswollte. »Aber es ist auch kein so großer Umweg. Zu Pferde können wir es von Temsers Hof aus erreichen. Wenn wir uns beeilen.«
»Dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren«, sagte Tobias.
Während sie schweigend miteinander das Mittagsmahl
einnahmen, stellte sich Tobias zum ersten Mal der Frage, was er tun sollte, wenn es ihm nicht gelang, Katrins Unschuld zu beweisen. Er fand keine Antwort, aber die Frage allein war entsetzlich genug, ihn noch stiller und niedergeschlagener werden zu lassen.
Nach dem Essen ging Bresser fort, um zwei Pferde zu holen, und Tobias begab sich noch einmal auf seine Kammer. Katrin war wach, aber sie hatte wieder Fieber bekommen und schien ihn kaum zu erkennen. Ihre Stirn glühte, 150
und sie phantasierte. Das Pulver, das er ihr nach Anleitung des Arztes eingeflößt hatte, schien das Fieber eher geschürt zu haben, statt es zu dämpfen. Doch er wußte auch, daß manche Medikamente so wirkten: daß sie die Krankheit aus dem Körper des Patienten herausbrannten.
Es behagte Tobias nicht, Katrin für einen oder womöglich auch zwei Tage allein zu lassen. Aber Maria versprach, auf sie acht zu geben. Nichts hätte er lieber getan, als an ihrem Bett zu sitzen, zu beten und darauf zu warten, daß sie mit Gottes Kraft gesundete. Aber er mußte gehen, um das Rätsel dieser sonderbaren Stadt zu lösen.
Er verließ das Haus, und gemeinsam schritten Bresser und er die Straße hinunter zum Stadttor. Es war wieder sehr warm geworden. Die Sonne stand im Zenit, und vom Pfuhl her wehte ein erstickender süßlicher Gestank herüber.
Am Tor bestiegen sie die Pferde, und dann ritten sie eine gute halbe Stunde am Fluß entlang, bis sie die Mühle erreichten. Tobias hatte Bresser nicht gefragt, wieso das Haus des Müllers so weit abseits lag, aber er begriff den Grund, kaum daß er die Mühle erblickte: in der Nähe der Stadt floß der Fluß gemächlich dahin, aber mit der Zeit wurde er immer wilder und rasender, daß Tobias es sich zweimal überlegt hätte, darin zu baden, wie er es an seinem ersten Tag getan hatte. Seltsamerweise schienen die Wasser-massen ganz von selbst anzuschwellen - es gab keinen anderen Fluß, der hier mündete. Er sprach Bresser darauf an, aber der zuckte nur mit den Schultern.
»Das war schon immer so«, sagte er. »Im Frühjahr tritt der Fluß sogar manchmal über die Ufer und überschwemmt die Felder. Vielleicht gibt es eine Quelle mitten im Flußbett.
Oder einen unterirdischen Zufluß. Dort hinten steht die Mühle.«
Tobias hatte das Gebäude schon vor einer Weile gesehen: ein gedrungener Schatten mit hellem Dach, der nicht neben, sondern offenbar im Fluß errichtet worden war. Als sie näher kamen, erkannte er Einzelheiten: Die Mühle erhob sich auf einer hölzernen, nur hüfthohen Plattform, das große Wasserrad, das sich trotz der rauschenden Strömung 151
nur gemächlich drehte, schien direkt aus ihrem Boden heraus zu wachsen.
»Eine ungewöhnliche Konstruktion«, sagte er.
Bresser nickte voller Stolz. »Eine Idee des Grafen«, sagte er. »Bis vor wenigen Jahren stand sie neben dem Fluß, wie alle Wassermühlen. Aber manchmal konnte der Müller
nicht arbeiten, weil er zu wenig Wasser führte, und manchmal bekam er nasse Füße, wenn es Hochwasser gab. Jetzt kann er das ganze Jahr mahlen - wenn es etwas zu mahlen gibt.«
Tobias betrachtete neugierig die Mühle. Die Idee, das Haus in den Fluß zu setzen, erschien ihm so einfach wie genial. Seine Neugier, diesen sonderbaren Grafen ein wenig besser kennenzulernen, wuchs.
»Wie weit erstreckt sich der Besitz des Grafen?« fragte Tobias. »Er herrscht nicht nur über Buchenfeld?«
»Keineswegs«, antwortete Bresser. »Es gibt fast zwei Dutzend Höfe und ein kleines Fleckchen im Norden. Er hat nicht einmal einen Namen. Es wohnen nur zwanzig Leute dort.«
Ein
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