Wolfgang Hohlbein -
verflucht.«
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»Bitte!« sagte Tobias. »Haltet an Euch. Ihr sollt nicht falsch Zeugnis ablegen.«
»Wie soll ich an mich halten, wo es um meine Existenz geht? Wir werden verhungern, wenn der Winter kommt.
Wovon soll ein Müller leben, der nichts zu mahlen hat?« Er machte eine Handbewegung, als Tobias ihn abermals unter-brechen wollte, und fuhr in etwas ruhigerem Ton fort: »Aber gut, wie du willst, Pfaffe. Es ist schnell erzählt. Sie kam im Frühjahr und verlangte von mir, die Mühle nicht mehr zu benutzen.«
»Wie?« entfuhr es Tobias überrascht.
Ein grimmiges Lächeln huschte über das Gesicht des Müllers. »Ich war genauso erstaunt wie du. Ich sagte ihr, sie wäre verrückt. Seit wir die Mühle neu gebaut hatten, mahle ich dreimal so viel Korn wie zuvor. Aber sie sagte, ich dürfte das nicht. Es läge ein Fluch auf ihr. Sie wäre Teufelswerk. Sie verlangte von mir, eine neue Mühle zu bauen, eine mit einem Windrad, wie die Holländer sie benutzen.«
»Aber warum?«
»Das habe ich sie auch gefragt«, antwortete der Müller.
»Aber sie hat nicht geantwortet. Sie hat nur gedroht, ich würde schon sehen, was ich davon hätte, wenn ich nicht auf sie hörte.«
»Was Ihr natürlich nicht getan habt.«
»Hättest du es?«
Tobias schwieg einen Moment und schüttelte dann den Kopf. »Nein«, sagte er ehrlich.
»Siehst du. Ich auch nicht. Seit vier Generationen mahlen wir das Korn mit der Kraft des Wassers. Windmühlen stehen am Meer, wo der Wind beständig heranweht. Hier sind sie zu nichts nutze. Ich habe sie herausgeworfen. Sie fing an zu toben und stieß wilde Drohungen aus, und schließlich habe ich sie geschlagen und aus meinem Haus gejagt. Aber nur wenige Tage später fing das Korn an zu verderben. Zuerst habe ich mir nicht einmal etwas dabei gedacht - es kommt immer wieder einmal vor, daß ein Sack Korn verdirbt, zumal hier, so nahe am Wasser. Aber diesem ersten Sack folgte ein zweiter, und ein dritter, und dann kam Bodel -«
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»Bodel?«
»Einer der freien Bauern, für die ich Korn gemahlen habe.
Er kam, um seine Lieferung abzuholen. Ich gab ihm das Mehl und bekam meinen Anteil, aber schon am Abend des-selben Tages war er wieder hier. Er schäumte vor Wut.
Schrie mich an, ich hätte ihn betrogen. Fast hätten wir uns geschlagen, so wütend war er. Und dann zeigte er mir, was in den Säcken war, die ich ihm mitgegeben habe.« Er ballte zornig die Fäuste auf der Tischplatte. »Du hast es gerade gesehen. Das meiste war verdorben. Nicht alles, aber das allermeiste.«
»Wir haben dann den Grafen gerufen«, fuhr Bresser fort, als der Müller nicht weitersprach, sondern nur haßerfüllt ins Leere starrte. »Seine Männer haben die Scheune untersucht.
Sie haben fast alle Säcke geöffnet. Es war überall dasselbe.«
»Die Ernte eines ganzen Jahres!« flüsterte der Müller.
»Dahin. Alles verdorben. Wir müßten verhungern, hätte der Graf uns nicht Korn beschafft. Wir! Die wir in den letzten Jahren Korn nach Hamburg gebracht haben, so viel hatten wir davon!«
»Ich nehme doch an, Ihr habt . . . Katrin gefragt, was es mit ihren Worten auf sich hatte?« fragte Tobias zögernd. Er mußte vorsichtig sein. Wenn er zu deutlich spüren ließ, daß es ihm eigentlich nur darum ging, sie zu enflasten, dann würde er von den Leuten nichts mehr erfahren.
»Natürlich«, sagte der Müller. »Aber sie hat nur gelacht.
Sie hat mir ins Gesicht gelacht und geschrien, daß sie mich schließlich gewarnt hätte!«
»Sonst nichts?«
»Reicht das nicht?« fragte Bresser, ehe der Müller antworten konnte. »Verzeiht, Pater, aber . . . was Ihr gesehen habt, ist doch Beweis genug, oder?«
Tobias schwieg. Was immer er jetzt sagen konnte, würde alles nur schlimmer machen. Er nahm sich vor, noch einmal mit dem Müller zu reden. Aber ohne Bresser. Er stand auf.
»Hebt einen dieser Säcke auf«, sagte er. »Es kann sein, daß ich ihn noch brauche. Und Ihr werdet Eure Aussage wiederholen, wenn es zum Prozeß kommt?«
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»Wenn du es verlangst«, sagte der Müller grimmig.
Er ging zur Tür, öffnete sie und wartete, bis Tobias und Bresser ihm gefolgt waren.
Aber Tobias zögerte noch, das Haus zu verlassen. Nachdenklich sah er sich um.
»Ihr lebt allein hier mit Eurer Frau? Ihr habt keine Kinder?«
Es war nur ein Lidzucken. Aber er sah deutlich das
Erschrecken in Bressers Augen, als der Müller zu einer Antwort ansetzte, und so kurz es war - er spürte das Stocken in dessen Worten, als er im letzten Moment
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