Wolfgang Hohlbein -
daß er zu ihm aufschließen konnte, als sie den breiteren Teil des Waldweges wieder erreicht hatten.
Doch plötzlich fühlte Tobias sich wie erschlagen. Nichts, was er sagen konnte, keines der vielen geschliffenen Argumente, die er sich für seine Unterhaltung mit dem Grafen zurechtgelegt hatte, schien noch irgendeine Gültigkeit zu haben. Worte verblaßten zu einem Nichts, angesichts dieses fürchterlichen Bildes.
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»Also das war es, was Ihr mir zeigen wolltet«, sagte er schließlich.
Theowulf nickte grimmig. Der Ausdruck von Zorn war
jetzt völlig aus seinem Gesicht gewichen; aber dafür las Tobias eine Bitterkeit und Sorge darin, die ihm vorher noch nicht aufgefallen waren.
»Es tut mir leid, wenn ich Euch erschreckt habe«, sagte Theowulf. »Aber ich wollte, daß Ihr es seht. Es gibt Dinge, die lassen sich mit Worten nicht beschreiben.«
»Da habt Ihr recht«, murmelte Tobias. Er fühlte sich hilflos. Für einen Moment wünschte er sich zurück ins freundliche Lübeck. Mein Gott, dachte er dann, warum hast du mir eine solche Aufgabe auferlegt. Er blickte sich um, sah den düsteren Wald und das unwirtliche Land und senkte in einem Moment der Demut die Augen.
»Wieso hat Bresser mir nichts davon erzählt?« fragte er einen Moment später den Grafen.
Theowulf lachte humorlos. »Weil er es nicht wußte«, sagte er. »Niemand weiß davon, und wenn Ihr es nicht herumerzählt, dann bleibt das auch so. Der Hirt und sein Weib werden bestimmt nichts sagen.«
»Ihr wollt das . . . verschweigen?« fragte Tobias ungläubig.
Theowulf nickte. »Das Tier kam vor drei Tagen zur Welt«, sagte er. »Niemand außer den zweien, Euch und mir hat es gesehen. Und das soll auch so bleiben.«
»Aber warum?«
»Warum nicht?« gab Theowulf zurück. »Hat es irgend
einen Nutzen, noch mehr Schrecken zu verbreiten? Die Menschen hier haben Angst genug, auch ohne daß bald
Geschichten von zweiköpfigen Schweinen kursieren.«
»Aber es ist ein Beweis.«
Theowulf verhielt sein Pferd mit einem Ruck und sah Tobias an. »Braucht Ihr ihn?« fragte er.
Tobias verstand nicht gleich. »Wie . . . meint Ihr das?«
»Braucht Ihr einen Beweis, um die Hexe zu verurteilen?«
fragte Theowulf noch einmal. »Ich meine - braucht Ihr noch einen Beweis über das hinaus, was Ihr schon wißt?«
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Tobias war völlig verwirrt. »Sagtet Ihr nicht vorhin selbst, daß ich im Grunde noch keinen Beweis hätte?« fragte er.
Der Graf nickte. »Und Ihr werdet auch keine finden«, erklärte er. »Nicht die Art von Beweisen, an der Euch zu liegen scheint. Wenn das, was Ihr bisher gesehen habt, nicht reicht - was dann? Was wollt Ihr noch? Eine von Satan persönlich unterschriebene Bestätigung?« Er lachte böse. »Ihr wißt alles, was Ihr wissen müßt, Tobias. Jetzt tut Eure Pflicht.«
»Aber gerade darum muß ich mehr wissen.«
»Verurteilt die Hexe«, verlangte Theowulf. Er sprach sehr leise, sehr ernst.
»Es ist nötig, begreift das doch.«
»Ob sie schuldig ist oder nicht?« fragte Tobias entsetzt.
»Aber . . . aber Ihr selbst sagtet doch, Ihr wärt nicht davon überzeugt, daß sie eine Hexe ist!«
»Das spielt doch gar keine Rolle«, sagte Theowulf.
»Ich soll . . . eine Unschuldige verurteilen? Ihr verlangt von mir, daß ich eine Frau auf den Scheiterhaufen schicke, ohne mich davon zu überzeugen, daß sie auch wirklich getan hat, was man ihr zur Last legt?«
»Wollt Ihr nicht begreifen, was hier geschieht, oder könnt Ihr es nicht?« fragte Theowulf gereizt. »Ja, ich verlange ganz genau das von Euch, wenn Ihr schon darauf besteht, daß ich es ausspreche.« Er machte eine zornige Geste. »Die Menschen hier sind fast wahnsinnig vor Angst. Irgend etwas geschieht hier, Tobias! Etwas Schreckliches. Ich weiß nicht, ob es der Teufel ist, der seine Hände im Spiel hat, oder nur eine schreckliche Aneinanderreihung von Zufällen. Und es spielt auch keine Rolle. Wichtig ist, daß die Menschen hier auf ein Zeichen warten. Ein Zeichen, daß etwas geschieht.
Daß ihnen geholfen wird. Seht Euch doch um! Eine arme Stadt, eine Handvoll trostloser Gehöfte und Menschen, die nichts lieber tun, als den Teufel und seine Dämonen für ihr Unglück verantwortlich zu machen, statt ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.«
»Warum helft Ihr ihnen nicht dabei, wenn das wirklich Eure Meinung ist?« fragte Tobias.
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»Aber das tue ich«, widersprach Theowulf. »Oder ich versuche es zumindest. Doch leider sind meine Mittel begrenzt.
Und meine
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