Wolfgang Hohlbein -
sagen wollte.«
»Doch«, antwortete Tobias. »Das habt Ihr.«
Theowulf sah ihn lange und mit undeutbarem Blick an.
»Dann werdet Ihr . . . den Prozeß führen?«
»Ich habe nie gesagt, daß ich es nicht tun werde«, sagte Tobias. »Aber ich werde ihn gerecht führen - nach bestem Wissen und mit dem Segen Gottes.«
»Sie hat Verkolt getötet, da bin ich ganz sicher«, sagte Theowulf. »Er war ein widerwärtiger alter Mann, habgierig und böse. Viele in der Stadt hatten Angst vor ihm, und fast alle haben ihn gehaßt. Aber ein Mord bleibt ein Mord. Sie muß bestraft werden.«
»Wenn sie es getan hat - sicher«, antwortete Tobias.
»Aber das ist nicht meine Aufgabe.«
Theowulf brauste nicht wieder auf, obgleich Tobias das beinahe erwartet hatte. Aber entweder war er zu müde, um zu streiten, oder er hatte sich für eine andere Taktik entschieden. »Kommt«, sagte er. »Reiten wir weiter.«
Die Pferde trabten wieder an, und Theowulf ließ einige Augenblicke verstreichen, ehe er an seine unterbrochene Rede wieder anknüpfte: »Was, glaubt Ihr, wird geschehen, wenn Ihr Katrin freisprecht?«
Tobias hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Sie wird sich vor dem Richter verantworten müssen, wenn sie wirklich ihren Mann umgebracht haben sollte.«
»Das meine ich nicht«, sagte Theowulf. »Was glaubt Ihr, wird hier in Buchenfeld passieren?«
»Wie meint Ihr das?«
»Sie werden sich eine neue Hexe suchen«, antwortete Theowulf. »Oder einen Hexer. Versteht Ihr - die Menschen 195
hier sind halb von Sinnen vor Angst. Sie sind . . . verzweifelt. Es herrscht Unruhe. Man sieht es noch nicht, aber man spürt es. Die letzte Ernte wurde vernichtet, und Ihr habt gesehen, was mit dem See im Wald geschah. Wenn Ihr
Katrin freisprecht, Tobias, werden sie sich ein anderes Opfer suchen. Und vielleicht mehr als eines. Vielleicht wird es Tote geben. Sehr viele Tote. Ihr habt die Männer gesehen, mit denen ich heute abend auf Jagd gehen werde?«
»Sicher.«
»Aber Ihr wißt nicht, wer sie sind«, fuhr Theowulf fort.
»Es sind meine Hintersassen.« Er betonte das Wort auf so sonderbare Art, daß Tobias ihn fragend ansah, aber Theowulf reagierte nicht darauf, sondern fuhr nach einer winzigen Pause fort. »Sie sind nicht nur hier, um mit mir ein paar Rehe oder Wildschweine zu jagen, Tobias. Sie sind gekommen, weil sie Angst haben. Der nächste Winter wird Hunger bringen. Sie verlangen, daß ich etwas tue. Aber ich weiß nicht, was.«
»Einen Mord zu begehen ist keine Lösung.«
Theowulf seufzte. »Mord . . . welch ein Wort, Tobias.
Manchmal ist einer einfach im falschen Moment am falschen Platz. Manchmal frage ich mich, ob ich am richtigen Platz bin.«
»Das klingt . . . nicht so, als wäret Ihr mit Eurem Schicksal zufrieden«, sagte Tobias zögernd.
»Doch«, antwortete Theowulf. »Oder nein.« Er lachte. »Ja und nein, muß es wohl heißen. Ich möchte mit keinem der anderen tauschen - aber ich glaube, ihnen geht es ebenso.
Wofür haltet Ihr mich, Tobias?«
»Wofür ich Euch halte? Was meint Ihr damit?«
»Für einen Mann von Macht und Einfluß, der beides
genießt und mit eiserner Faust über seine Untertanen herrscht?« fragte Theowulf. »Wenn das so ist, dann irrt Ihr Euch. Ich will ganz ehrlich zu Euch sein, Tobias: Meine Grafschaft zerfällt. Die Menschen arbeiten nicht mehr, weil sie Angst haben. Sie lassen ihre Felder brachliegen, weil sie es nicht mehr wagen, die Sicherheit ihrer Häuser zu verlassen. Einer traut dem anderen nicht mehr, und sie beginnen, 196
mir zu mißtrauen. Uns droht der Untergang. Und ich weiß nicht, ob ich ihn noch verhindern kann. Vielleicht ist es bereits zu spät.«
»Darf auch ich ganz offen sprechen?« fragte Tobias. Theowulf nickte.
»Ist das der wahre Grund für mein Kommen?« fragte
Tobias. »Habt Ihr Angst um Eure Macht?«
Einen Moment starrte Theowulf ihn betroffen an - dann warf er den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen. Tobias sah ihn verwirrt an.
»Das ist es, was Ihr glaubt?« fragte Theowulf, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. »Da kann ich Euch beruhigen, mein Freund. Ich will sie nicht, diese Macht. Sie ist zu schwer für das, was man dafür bekommt. Ich würde sie ver-schenken, gäbe es einen, der dumm genug wäre, sie zu nehmen. Aber ich will Euch sagen, was ich wirklich will: Ich will nachts ruhig schlafen. Ich will am Morgen aufwachen, ohne Angst zu haben, daß die Welt rings um mich herum in Flammen steht. Ich will, daß die Menschen, die
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