Wolfgang Hohlbein -
gezwungen war, ob er wollte oder nicht. Aber er blickte nicht einmal jetzt zu Tobias zurück, sondern duckte sich nur mit raschen, ärgerlichen Bewegungen unter tiefhängenden Ästen und Buschwerk.
Endlich erreichten sie eine Lichtung, auf der ein kleines Haus stand - eigentlich nur eine ärmliche Hütte, deren Dach an einer Seite eingefallen war. In einem windschiefen Verschlag dahinter waren zwei dürre Ziegen untergebracht, und ein nicht minder dürrer, räudiger Köter sprang den beiden Reitern kläffend entgegen und wurde jäh von einer Kette zurückgerissen. Auf der Rückseite des Hauses befand sich ein schlammiger Pferch, in dem sich ein halbes Dutzend Schweine suhlten.
Theowulf sprang aus dem Sattel, versetzte dem Hund
einen Tritt und wandte sich zu Tobias um. »Kommt!« befahl er herrisch. »Ich will Euch etwas zeigen!«
Tobias gehorchte fast gegen seinen Willen. Theowulfs Worte waren von einer fast suggestiven Kraft, gegen die er im ersten Moment einfach hilflos war. Unwillkürlich streckte er die Hand aus und ließ sich vom Grafen aus dem Sattel helfen.
Unterdessen hatte sich die Tür des Hauses geöffnet, und ein bleicher, stoppelbärtiger Mann mit schulterlangem filzi-gem Haar war herausgetreten. Er erschrak sichtlich, als er den Grafen erblickte, aber er kam nicht dazu, auch nur ein Wort zu sprechen, denn Theowulf fuhr ihn sofort an: 186
»Wo ist es? Wir wollen es sehen!«
Der Mann deutete mit einer Handbewegung auf den
Waldrand. »Dort. Aber wir . . . ich meine, es ist nicht mehr viel davon übri . . .«
Theowulf blieb abrupt stehen und starrte ihn an, und der Mann geriet vollends ins Stocken und trat nervös von einem Bein auf das andere. Hinter ihm erschien ein zweiter, etwas kleinerer Schatten unter der Tür. Ein Paar dunkler Augen blickte Theowulf und Tobias voller Furcht an.
»Was habt ihr damit getan?« schnappte Theowulf. »Sagt nicht, ihr hättet es verbrannt! Ich habe es euch verboten!«
»Ich weiß, Herr«, stotterte der Mann. »Aber meine
Frau ... ich meine, wir . . . wir hatten Angst. Wir haben . . .«
»Ich lasse dich auspeitschen, Kerl!« brüllte Theowulf.
»Also - wo habt ihr es vergraben?«
»Hinter . . . hinter der großen Buche, Herr«, stotterte der Mann. »Wo die Steine liegen. Was davon übrig ist. Es ist ...
nicht ganz dahin. Es brannte nicht gut, und . . .«
Er brach abermals ab, und als Tobias den Blick wandte und Theowulfs Gesicht sah, begriff er auch, warum. Das Antlitz des Grafen loderte vor Zorn.
»Gut«, sagte Theowulf und versuchte, seine Beherrschung zurückzugewinnen. »Dann laßt uns hoffen, daß es auch wirklich schlecht genug gebrannt hat. Um deinetwillen.« Er machte eine ärgerliche Geste. »Geh. Bring uns zu diesem Platz und grab es aus!«
Der Mann duckte sich wie ein geprügelter Hund und verschwand im Haus, kam aber schon einen Augenblick später mit Hacke und Schaufel zurück und eilte mit angstvoll gesenktem Blick an Tobias und Theowulf vorbei.
Sie folgten ihm. Ein kurzes Stück gingen sie den Weg zurück, den Theowulf und der Graf gekommen waren, dann drangen sie nach links ins Dickicht ein. Der Mann versuchte vergeblich mit dem Stiel seiner Hacke eine Gasse für Tobias und Theowulf zu schlagen. Tobias' Hände und Gesicht bekamen mehr als nur einen Hieb eines dornigen Zweiges ab, und auch Theowulf duckte sich immer wieder fluchend.
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Schließlich erreichten sie eine Stelle, an der der Wald weniger dicht war - noch keine Lichtung, aber doch ein Flecken steiniger Erde, auf dem außer einer mächtigen Krüp-pelbuche nur Moos und Farn wuchsen. In der Mitte dieses kleinen Fleckens war unlängst gegraben worden. Ohne ein weiteres Wort machte sich der Bärtige daran, den Boden mit seiner Hacke zu bearbeiten.
»Warum seid Ihr so hart zu ihm?« fragte Tobias; leise, damit nur Theowulf seine Worte hörte.
Der Graf schürzte ärgerlich die Lippen. »Warum?« fragte er. »Weil ich diesem Narren verboten hatte, das Tier zu verbrennen! Ich wollte, daß Ihr es seht. Aber dieses ungebildete Pack weiß ja nicht . . .« Er brach ab, starrte einen Moment lang an Tobias vorbei ins Leere und zwang sich dann zu einem gemäßigteren Ton. »Verzeiht, Pater«, sagte er. »Aber ich war einfach zornig.«
»Weil er Euren Befehl mißachtet hat?« erkundigte sich Tobias.
Zu seiner Verwunderung lächelte Theowulf. »Nein«, sagte er. »Ich habe versucht, ihm und seinem Weib zu erklären, daß wir diesen Kadaver vielleicht noch brauchen. Aber sie haben nur irgend
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