Wolfgang Hohlbein -
Möglichkeiten auch. Ich kann ihnen Gold geben, um Korn zu kaufen. Ich kann ihnen Holz geben, um ihre Häuser auszubessern. Ich kann ihnen Schutz vor Räubern und Gesindel geben. Aber ich kann sie nicht vor ihrer eigenen Angst beschützen! Ihr seid ein Mann Gottes. Ihr könnt es.«
»Indem ich einen Mord begehe? Ihr müßt verrückt sein.«
»Keinen Mord«, verbesserte ihn Theowulf ernst. »Pater Tobias - jeder andere Inquisitor an Eurer Stelle hätte dieser Katrin schon längst den Prozeß gemacht. Die Beweise sind mehr als ausreichend. Und seit wann braucht die Inquisition Beweise? Sie -«
»Kein Wort mehr!« unterbrach ihn Tobias. Seine Stimme zitterte. »Ich will nichts mehr hören!«
»Warum?« Theowulfs Augen wurden schmal. »Gefällt
Euch nicht, was ich sage? Habt Ihr Angst vor der Wahrheit?«
»Ich glaube, ich habe mich in Euch getäuscht, Graf«, antwortete Tobias steif. »Ich hielt Euch für einen Ehrenmann.
Nicht für einen gemeinen Mörder.«
»Gemeiner Mörder?« Theowulf lachte. Aber es klang
böse. »Wenn Ihr mich einen gemeinen Mörder nennt, dann sind wir es alle. Wie viele Hexen habt Ihr schon verbrannt.
Pater Tobias? Zehn? Hundert?«
»Keine einzige«, antwortete Tobias gepreßt. »Und wenn -«
»Dann nehme ich an, daß Ihr dieses Amt noch nicht sehr lange innehabt«, fiel ihm Theowulf spöttisch ins Wort. »Und ich nehme ebenso an, daß Ihr es auch nicht mehr lange inne-haben werdet. Die Aufgabe der Inquisition ist -«
»- nicht, Unschuldige zu ermorden!« unterbrach ihn
Tobias erregt. Er schrie fast.
»Nein? Was dann? Sagt mir nicht, die Menschen wirklich vor Hexerei und Schwarzer Magie zu beschützen!« Er beugte sich im Sattel zur Seite und ballte die Faust vor Tobias'
Gesicht. Im allerersten Moment hielt Tobias es für eine Drohung und prallte zurück. Aber das war es nicht.
»Ich will Euch sagen, was die Inquisition ist, Tobias!« fuhr 193
Theowulf erregt fort. Er schüttelte die Faust. »Die geballte Faust der Kirche. Das Schwert, mit dem sie alle Andersgläubigen niederknüppelt! Das einzige, was die Inquisition beschützt, ist die Kirche selbst! Und jetzt sagt nicht, das wäre nicht wahr! Ihr tötet und brennt im Namen Jesu Christi, aber glaubt mir, Tobias - die Hälfte Eurer Brüder würde selbst ihn auf den Scheiterhaufen zerren, käme er heute wieder.«
»Das ist Gotteslästerung!« keuchte Tobias.
»Ist es das? Oder ist es nur eine Wahrheit, die Ihr nicht hören wollt?« schnappte Theowulf. »Was tätet Ihr, käme einer zu Euch, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein?
Der Tote auferweckt und Lahme gehen macht? Der fünftau-send mit einem Fische und einem Laib Brot speist? Ich zweifle nicht an Eurer Aufrichtigkeit, Pater Tobias. Ihr seid vielleicht die eine Ausnahme, aber glaubt mir - die meisten von Euch würden Zauberei und Teufelswerk brüllen und ihn ein zweites Mal ans Kreuz schlagen!«
»Genug!« schrie Tobias. »Genug, sage ich! Das höre ich mir nicht mehr an!«
Er schlug die Hände gegen die Ohren, aber es gelang ihm nicht, sie vor Theowulfs Worten zu verschließen, die wie Pfeile in sein Herz trafen. Weil sie die Wahrheit waren. Weil der Graf nur das aussprach, was Tobias selbst nie zu denken gewagt - aber oft insgeheim gefühlt hatte.
Theowulf schwieg eine Weile. Aber er beruhigte sich nur langsam. Sein Atem ging rasch und in kurzen, harten Stö-
ßen, und sein Gesicht hatte sich vor Erregung gerötet. Doch als er endlich weitersprach, klang seine Stimme wieder halbwegs ruhig.
»Es ... tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte das nicht sagen sollen, ich weiß. Aber ich bin des Heuchelns allmählich müde, Pater Tobias. Und ich glaubte, Ihr wäret ein Mann, der mich versteht. Ich glaube es immer noch.«
»Was soll ich verstehen?« fragte Tobias. Auch er bemühte sich, ruhig zu klingen. Es gelang ihm so gut oder schlecht wie Theowulf. »Daß Ihr von mir verlangt, ich solle einen Mord befehlen - aus purer Berechnung? Um das Volk zu beruhigen?«
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»Es ist Politik, keine Berechnung«, erklärte Theowulf.
»Aber vielleicht habt Ihr doch recht. Was ist Politik anders als Berechnung? Alles ist Politik, Pater Tobias. Die Kirche verbrennt Hexen, um das Volk stillzuhalten. Der König verbrennt seine Feinde, um über seine eigenen Probleme hin-wegzutäuschen. Und wir . . .« Er seufzte.
»Ach verdammt!« sagte er plötzlich. »Ich bin ein Narr.
Ich . . . habe es völlig falsch angefangen. Es tut mir leid. Ich habe nicht gesagt, was ich eigentlich
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