Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
Bürger dieser Republik. Nicht und niemals ihre Feinde. Wir haben der Sache des Friedens und des Sozialismus gedient. Wir fühlen uns mit allen Opfern des Kalten Krieges verbunden.«
Kilian traf Heinlein auf den Stufen zum Congress Centrum. Heinlein lag im Streit mit Walter, seinem Freund aus der »Loosche«, der als Reporter der lokalen Zeitung vor Ort war. Walter forderte den Zutritt eines »Kundschafters des Friedens« zum Saal der Diplomaten.
»Du weißt doch ganz genau, dass kein Außenstehender Zutritt hat«, bekräftigte Heinlein.
»Aber das sind doch keine Außenstehenden«, widersprach Walter, »um die geht’s doch hier. Die wollen nur ihre Position den Diplomaten darlegen. Sonst nichts. Das nennt man Recht auf freie Meinungsäußerung. Wenn man sie aussperrt, sperrt man auch eine andere Meinung aus, du Grombühler Beamten- Demokrat. Egal, ob sie Recht haben oder nicht.«
»Um was und wen geht’s hier eigentlich?«, mischte sich Kilian ein.
»Na, um diese Spione dort«, erklärte Walter mit einem Fingerzeig in Richtung der Kundschafter. »Das sind ehemalige Spione der Stasi.«
»Spione?«, fragte Kilian, als hätte er sich verhört. »Was haben Spione mit dem Gipfel zu tun?« Doch weder Walter noch Heinlein schenkten ihm Beachtung.
»Dann bleiben die erst recht draußen«, entschied Heinlein. »So weit kommt’s noch, dass ich Spione reinlasse.«
»Ex-Spione«, verbesserte Walter. »Von denen hast du nichts mehr zu befürchten und die da drin sowieso nicht.«
»Wenn die die Aufhebung ihrer Urteile verlangen, dann sind die hier am falschen Ort. Die sollen sich an die Berufungsgerichte wenden. Und jetzt Ende der Diskussion«, bestimmte Heinlein.
Doch Walter wollte noch nicht aufgeben. »Ja, sicher«, sagte er, »aber sie fordern auch die Vernichtung der Rosenholz- Dateien, die an die Bundesregierung übergeben werden sollen.«
»Rosenholz-Dateien?«, fragten Kilian und Heinlein wie aus einem Mund.
»Das ist nahezu der ganze verfilmte Karteibestand der ehemaligen HVA, der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit. Auf den Filmen sind quasi alle Agenten der Stasi im Ausland nach Deckname, Klarname, Führungsoffizier und so weiter aufgeführt. Wenn das Material in Umlauf kommt, dann geht’s rund in Deutschland.«
»Kapier ich nicht«, sagte Heinlein. »Ich denke, dafür gibt’s diese Gauck-Behörde in Berlin. Die haben doch die ganzen Akten.«
»Eben nicht. Damals bei der Wende hat die Stasi die meisten Akten verbrannt und die Filme nach Moskau schaffen lassen. Irgendwie ist das Material der CIA in die Hände gefallen, und die rücken das Zeugs seitdem nicht mehr raus.«
»Und wieso dann jetzt?«, fragte Kilian.
»SIRA«, sagte Walter. »Das ist eine andere Datei, die erst vor ein paar Jahren in Berlin entschlüsselt worden ist. Darauf ist genau festgehalten, welcher Agent unter dem jeweiligen Decknamen was an die Stasi berichtet hat. Mit Rosenholz und SIRA zusammen wird jetzt eine Flut an Prozessen auf uns zukommen. Viele werden überprüfbar werden, die bis jetzt nicht enttarnt werden konnten. Und einige wird es den Kopf kosten.«
»Das ist doch nur gerecht«, folgerte Heinlein.
»Einen Scheiß ist es«, konterte Walter in ungewohnt scharfer Form. »Während die BND-Spione für ihre Arbeit ausgezeichnet worden sind, landeten die Stasi-Leute im Knast. Was soll da gerecht sein, wenn zwei souveräne Staaten sich gegenseitig aushorchen und nur die einen zur Rechenschaft gezogen werden? So was nenne ich Sieger-Justiz.«
»Aber wir sind doch die Guten«, bekräftigte Heinlein.
»Sind wir das?«, fragte Walter.
»Ich glaube, du bringst da etwas durcheinander«, meinte Kilian. »Die DDR war ein totalitäres System, das seine eigenen Leute über Jahre bespitzelt und geknechtet hat. Unser Nachrichtendienst hat zu solchen Mitteln nicht gegriffen. Außerdem muss der BND Rechenschaft gegenüber dem Parlament ablegen und …«
»Schon mal was von Lauschangriff gehört?«, unterbrach ihn Walter, »oder von den Überwachungskameras, die jetzt überall aufgestellt werden … den Nachrichtensatelliten, die abgehört werden? Hier passiert das Gleiche wie in der DDR. Nur ist bei uns die Technik weiter. Ihr werdet schon sehen, was auf uns zukommt.«
»Sicherheit. Das dient alles nur der öffentlichen und privaten Sicherheit«, sagte Heinlein.
»Ha!«, rief Walter entrüstet. »Was interessieren die Polizei, die Regierung oder den Verfassungsschutz meine E-Mails, meine Telefonate
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