Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
auf ein mittelschweres Ehedrama schloss.
»Alles wieder okay?«, fragte Kilian.
»Was meinst du?«, fragte Heinlein.
»Na, mit Claudia. Die Nummer, die ihr heute Nacht abgezogen habt, muss ganz schön brenzlig gewesen sein.«
Heinlein wähnte sich auf dem sicheren Terrain einer neuen Mär. »Weißt du, wenn du fünfzehn Jahre lang verheiratet bist, dann musst du dir schon mal was Ausgefallenes einfallen lassen, damit noch was geht. Glebb mir, I’ wess wovon I’ redd.«
»Das glaube ich dir unbesehen. Allerdings stinkst du mit deiner ausgefallenen Nummer bis auf zwei Meter gegen den Wind. Wäschst du dich nicht danach?«
»Hä?«
Unbeeindruckt von Heinleins Aufruf zur Arbeit widmete sich Sabine ihrem Telefonat. »Und dann?« Wieder musste sie nicht lange auf die Antwort warten. »Was? Deine Schuld? Er hat dir wirklich gesagt, dass es deine Schuld war? Ich glaub’s nicht.«
»Sabine! Halt die Klappe«, befahl Kilian hinter der Zeitung.
»Jaja, gestresst. Wenn sie nicht mehr weiter wissen, dann kommt die Stress-Leier. Ich sag dir eins: Abhaken und auf ein Neues. Es kann doch nicht nur noch Flaschen geben. Wo sind die richtigen Männer geblieben? Lass uns nach Italien auswandern. Nein, besser Jamaika. Ich habe gehört, die Jungs dort unten sind gut bestückt und kennen keinen Stress«, versprach Sabine der Freundin.
Heinlein hatte genug. Er sprang auf, lief zur Tür und klatschte sie zu.
»Ich glaub’s einfach nicht, was der Engelhardt da verzapft«, sagte Kilian und nahm einen Schluck Kaffee.
»Was meinst du?«, fragte Heinlein.
»Engelhardt kündigt eine harte Linie bei der Verfolgung und Bestrafung ehemaliger Stasi-Spione im Westen an«, las Kilian vor. »Er begrüße die Entscheidung der amerikanischen Regierung, die Rosenholz-Dateien endlich den deutschen Behörden zur Verfügung zu stellen. Es gelte, begangenes Unrecht zu sühnen und wieder für Gerechtigkeit im Staat zu sorgen. Er, Engelhardt, habe bereits ein paar Fälle im Auge, die er einer erneuten Überprüfung unterziehen wolle. Aber damit nicht genug. Er rufe Bürger wie Behörden auf, besonderes Augenmerk auf Mitarbeiter und verdächtige Personen zu haben,
die sich in den Jahren von 1970 bis in die Neunziger in auffallender Weise für öffentliche Einrichtungen interessiert haben oder sich an antidemokratischen Versammlungen und Demonstrationen beteiligt haben. Engelhardt habe seine Mitarbeiter angewiesen, diskret mit den ihnen zugetragenen Informationen und Informanten umzugehen. Deren Anonymität bliebe gewahrt.«
Kilian legte die Zeitung vor sich auf den Tisch und schüttelte verständnislos den Kopf. »Jetzt ist die Treibjagd eröffnet. Wir werden uns vor Denunziationen, Verdächtigungen und Anschuldigungen nicht mehr retten können. Warum heizt der Engelhardt nur die Stimmung so an? Der klingt ja wie ein Scharfrichter, nein, schlimmer, wie ein Inquisitor.«
»Was?«
»Inquisition. Mittelalter. Pfaffen, die sich zum Richter aufgespielt haben und allem, was in ihren weihrauchkranken Köpfen nach Hexen und Teufel gerochen hat, ging’s an den Kragen. Das Gleiche passiert jetzt wieder.«
»Ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird. Dieses Stasi- Zeugs interessiert doch heute niemanden mehr. Außerdem, Stasi ist ein Ossi-Problem und hat doch nichts mit unserer Vergangenheit zu tun«, widersprach Heinlein.
»Bei diesen Rosenholz-Dateien geht es vornehmlich um Westdeutsche, die im Auftrag der Stasi westliche Behörden und Unternehmen ausspioniert haben. Wenn das kein gesamtdeutsches Thema ist, dann weiß ich auch nicht. Zudem hege ich starke Zweifel, dass die Spionage vorbei ist.«
»Jetzt hör aber auf. Die Kommunisten haben verloren. Die sind sang- und klanglos mit ihren Honeckers und Mielkes untergegangen. Unser System hat sich als das Bessere herausgestellt. Basta.«
»Sag mal, Schorsch. Bist du so blind oder willst du einfach nicht kapieren, dass diese Spitzeleien nie vorbei sein werden?
Bei diesem Sicherheitstreffen der EU geht’s doch um nichts anderes. Da werden nach außen irgendwelche gemeinsamen Eingreifheere aufgestellt, die sie ins Kosovo oder an die Schengener Grenzen schicken können, wenn’s wieder brennt. Nach innen aber bauen die ein Informationsnetzwerk auf, das über eine rein militärische Anwendung hinausgeht. Das läuft dann unter den Schlagworten Globalisierung und Internet. Da traut sich doch keiner zu widersprechen, weil uns ständig eingeredet wird, dass wir das unbedingt brauchen, um nicht von den
Weitere Kostenlose Bücher