Wolfsangriffe. Fakt oder Fiktion? (German Edition)
Schritt zurück und nach rechts. In dem Moment sprang der Wolf blitzschnell auf ihn zu, schnappte sein linkes Bein knapp unterhalb des Schienbeins und hielt es fest. Mulders schlug dem Wolf die Faust auf den Kopf, aber er hielt ihn noch weitere 10 bis 15 Sekunden fest. Erst als Williams ihn mit dem Karibu-Sendehalsband bewusstlos schlug, ließ der Wolf los. Mulders schlug ihm noch zwei Mal das Halsband auf den Kopf und stach ihm mit dem Messer in die Brust. Der Biss hatte einen vier Zentimeter langen Riss in seiner Hose und eine Hautverletzung am Schienbein hinterlassen.
Die Untersuchung des Kadavers ergab, dass es sich bei dem Angreifer um eine etwa sieben Monate alte Jungwölfin gehandelt hatte, die bei guter Gesundheit war und geschätzte 22 Kilo wog. Spuren von getrocknetem Blut an ihrer rechten Schulter ließen darauf schließen, dass sie innerhalb der letzten Tage gefressen hatte. Der Kopf wurde zum Tollwuttest eingeschickt, der Körper ohne Nekropsie verbrannt. Der Test war negativ.
Die Männer glauben, dass der Wolf das Karibu fressen wollte und vorher vielleicht noch nie einen Menschen gesehen hatte. Vermutlich hatte das Tier noch keine jagdliche Erfahrung. Es ist möglich, dass es beobachtet hat, wie das Karibu gefangen wurde und dadurch visuell stimuliert wurde. Ungewöhnlich ist jedoch, dass ihn der Lärm des Hubschraubermotors nicht abgeschreckt hat. Unter Berücksichtigung der Windrichtung gehen die Männer davon aus, dass der Wolf sie und das Karibu erst gerochen hat, als er sehr nah war. Williams vermutete, dass die Bewegungen von Mulder, während der Wolf ihn umkreiste, eine aggressive Reaktion hervorgerufen haben könnten. Sein Kollege zieht eine andere Schlussfolgerung. Er beschreibt die letzten Momente wie folgt: »Der Wolf war nähergekommen (vielleicht bis auf vier Meter), lief dann im großen Kreis in geduckter Haltung nach rechts. Ich hielt die ganze Zeit ständigen Augenkontakt zu dem Tier, und ich glaube, dass er entschlossen war, näherzukommen. Ich denke nicht, dass mein hin und her laufen den Wolf dazu gebracht hat, loszurennen und zu beißen. Wahrscheinlich hatte er das schon von Anfang an vor. Offensichtlich kann man über die Motive des Wolfes nur spekulieren.«
Ellesmere Island, Northwest Territories, 1977
Die Paläontologen J. Hutchison und M. Dawson arbeiteten am 29. Juni 1977 an Feldstudien auf Ellesmere Island. Sie saßen an der Kante einer Klippe, als sie 120 Meter unter sich eine Gruppe von sechs Wölfen am Strand entlanglaufen sahen. Einer der Wölfe entdeckte die Wissenschaftler und das Rudel lief langsam den Hang zu ihnen hinauf. Als die Tiere nur noch fünf Meter entfernt waren, standen der Mann und die Frau auf und Dawson warf ihren Rucksack nach den Wölfen, die unbeeindruckt weiter auf sie zukamen. Die beiden Forscher gingen vorsichtig den Hang hinunter und hoben mehrere dicke Steine auf. Sie beschrieben das Verhalten der Wölfe so:
»Obwohl wir sie anschrien und Steine nach ihnen warfen, kamen sie auf uns zu. Etwa drei bis vier Meter von uns entfernt blieben sie stehen. Einige von ihnen liefen ein paar Mal auf und ab. Dann versuchte einer, uns von hinten zu umkreisen, drehte jedoch ab, als ein Stein neben ihm landete. Daraufhin übernahm einer der Wölfe die Führung und ging langsam vorwärts, während er Dawson direkt anschaute. Er ignorierte unsere schlecht geworfenen Steine. Seine Ohren waren nach vorn gerichtet und sein Maul geschlossen. Als er noch etwa eineinhalb Meter entfernt war, sprang der Wolf auf Dawsons Kopf zu. Sie wich ihm mit dem Oberkörper aus und stieß dabei einen kleinen Schrei aus. Der Wolf streifte ihre Wange, die von seinem Speichel nass wurde, landete auf dem Boden, drehte sich um und zog sich zurück, nicht ohne ihr noch ein paar Blicke zuzuwerfen.«
Dann zogen sich alle sechs Wölfe ohne weiteren Zwischenfall zurück. Keines der Tiere hatte während des Vorfalls geknurrt oder anderweitig gedroht. Kurz danach trabten die Wölfe in das Camp von Hutchinson und Dawson und wühlten in einer kleinen Latrine.
Bei der anschließenden Beurteilung des Geschehens gingen die Wissenschaftler davon aus, dass es sich um das Testen von unbekannter Beute gehandelt haben musste. Sie wussten nicht, wie sich die Wölfe bisher anderen Menschen gegenüber verhalten hatten. Es hätte durchaus möglich sein können, dass die Tiere vorher gefüttert worden waren und somit eine futterkonditionierte Annäherung stattfand.
Verteidigung
Wölfe verteidigen
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