Wolfsangriffe. Fakt oder Fiktion? (German Edition)
der Nähe von Haliburton, Ontario, von fünf erwachsenen Grauwölfen angegriffen und getötet. Diese Wölfe hatten ihr ganzes Leben lang in Gefangenschaft gelebt und waren nicht auf Menschen sozialisiert. Vor dem Angriff hatten die Wölfe stets Abstand gehalten, wenn ihre Pfleger und andere Besucher das bewaldete 15 Hektar große Gehege betraten. Die Tiere waren Teil einer neuen Wolfsausstellung, die der besseren Aufklärung und Information über wilde Kaniden dienen sollte.
Wyman war als neue Tierpflegerin für die Wölfe eingestellt worden. Sie sollte außerdem das Aufklärungsprogramm leiten. Als Wolfsliebhaberin hatte sie im Jahr zuvor an verschiedenen Schulungsprogrammen des Tierparks teilgenommen und auch das Wolfsgehege mehrmals besucht, bevor sie angestellt wurde. Sie hatte an der Universität von Guelph, Ontario, Wildtierbiologie studiert und ihre neue Stellung am Montag, vier Tage vor dem 18. April, angetreten. Sie war bereits zweimal im Wolfsgehege gewesen, einmal mit ihrem Vorgesetzten und einen Tag zuvor, als sie die Wölfe gefüttert hatte. Da die Tiere immer auf Distanz zu Menschen geblieben waren, erwartete niemand ein Problem. Am Dienstag erzählte Patricia ihrem Verlobten, dass sie ein wenig Angst vor dem Leitwolf habe. Dies teilte sie jedoch weder ihrem Vorgesetzten noch den anderen Angestellten mit. Niemand weiß, warum sie am Donnerstag das Gehege allein betrat.
Patricias Körper wurde am späten Nachmittag von zwei Angestellten gefunden, die sofort die örtliche Polizei informierten. Von den drei Polizisten, die kamen, betraten zwei das Gehege. Als sie sich dem Körper der Frau näherten, knurrte sie einer der Wölfe an. Ein solches Verhalten kommt bei der Verteidigung von Futter vor. Die Wölfe umkreisten neugierig die Polizisten, die ein paar Schüsse in ihre Richtung abgaben. Schließlich kamen sechs Männer in das Gehege und entfernten die Leiche der Frau. Die Wölfe hatten ihre gesamte Kleidung zerrissen. Sie hatte mehrere Bisswunden, und von ihren Gliedmaßen war ein wenig Fleisch abgerissen worden, obwohl ihr Körper sonst intakt war. Die Wölfe wurden getötet und auf Tollwut getestet. Das Ergebnis war negativ.
Dr. Erich Klinghammer, Direktor des Instituts für Ethologie der North American Wildlife Park Foundation, untersuchte den Fall und erklärt den Angriff wie folgt: »Da sie neu bei den Wölfen war, betrat Wyman vermutlich das Gehege, um sich selbst weiter mit ihren neuen Aufgaben vertraut zu machen. Davon überzeugt, dass die Wölfe Abstand halten würden – so wie sie es bisher immer getan hatten – überwand sie offenbar ihre Angst vor dem Leitwolf, die sie noch einen Tag zuvor gehabt hatte. Der Boden in dem Gehege ist mit umgestürzten Bäumen und abgebrochenen Ästen übersät. Ich glaube, dass die neugierigen Wölfe sich ihr näherten und sie umkreisten, und dass sie dann stolperte und hinfiel. Das ist für Wölfe die Gelegenheit anzugreifen, was sie auch taten. Dass sie von mehreren – vermutlich von allen – Wölfen angegriffen wurde, ist durch die Tatsache ersichtlich, dass ihre Kleidung überall verstreut lag und dass sie am gesamten Körper und den Extremitäten Bisswunden hatte. Der Geschmack von Fleisch führte vermutlich zu einem gewissen Fressverhalten, obwohl im Allgemeinen Wölfe unbekannte Nahrung meiden. Diese Erklärung basiert auf meiner 24-jährigen Erfahrung mit gefangenen Wölfen in Wolf Park, der Analyse von mehreren anderen Angriffen einschließlich der Tötung von Menschen durch gefangene Wölfe, Wolfsmischlinge und Hunde, und auf der Literatur über einige wenige, seltene Angriffe auf Menschen durch wilde Wölfe.«
Der jüngste spektakuläre Zwischenfall ereignete sich in Schweden im Juni 2012. Der Tierpark Kolmården bot als Attraktion »Nahkontakt mit Wölfen« an. Besucher durften mit fachkundiger Begleitung das Gehege betreten und jeweils etwa eine Stunde lang die Tiere streicheln. Das Opfer war die Ziehmutter für die acht Wölfe und seit drei Jahren ihre Betreuerin. Was genau geschah, weiß niemand. Es gab keine Zeugen. Die Tierpflegerin betrat das Gehege und meldete sich über Funk ab. Als sie sich nach 20 Minuten noch nicht wieder gemeldet hatte, suchte man nach ihr und fand sie tot am Zaun liegen, die Wölfe über ihr. Zoomitarbeiter und Retter hatten Mühe, zu dem Opfer vorzudringen, da die Wölfe sich äußerst aggressiv verhielten. Erst als die Polizei anrückte und einige der Tiere mit einem Betäubungsgewehr außer Gefecht setzte,
Weitere Kostenlose Bücher