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Wolfsbrut

Wolfsbrut

Titel: Wolfsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Whitley Strieber
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würde daher Detective Sergeant bleiben müssen, bis entweder sie oder Wilson verrottet war, oder bis sie versetzt wurde, aber das würde das Revier selbstverständlich niemals tun. Nur Wilson selbst in seiner Weisheit würde überhaupt an so etwas denken. Allein der Gedanke daran mißfiel ihr; es konnte ohne weiteres bedeuten, daß sie von der Bildfläche verschwand und wieder im Stumpfsinn eines gewöhnlicheren Polizistinnenjobs versank.
    Wilson murmelte etwas in den Hörer, nur ein paar Silben. Er hatte seinen Chief mit derselben Höflichkeit von ihrem Kommen in Kenntnis gesetzt, wie er seinen Hausmeister über eine verstopfte Toilette informieren würde.
    Ein nasser, kalter Nordwind erfaßte sie, als sie das Gebäude verließen; die nieselnde Kälte der vergangenen Tage war schließlich den ersten echten Vorboten des Winters gewichen. Es war halb acht und bereits dunkel. Die Dreißigste Straße war ruhig, der Wind tobte sich in den Skeletten kahler Bäume auf beiden Straßenseiten aus. Ein paar Fußgänger eilten vorbei, und drüben auf der Fifth Avenue konnte man viele weitere Gestalten zwischen den Scheinwerfern und Umrissen von Autos sehen, die langsam Richtung Innenstadt fuhren. Becky beobachtete die Menschen, an denen sie auf dem Weg zum Auto vorbeigingen, studierte die grauen, leeren Gesichter, dachte an die Leben, die hinter diesen Gesichtern verborgen waren, und welche Auswirkungen das, was sie dem Chief bald erzählen würden, auf diese Leben haben konnte.
    Im Polizeidienst entwickelt man allmählich Distanz zu Nichtpolizisten. Die Menschen draußen haben so beschränkte Vorstellungen davon, was man tut, daß es fast so ist, als wüßten sie überhaupt nichts. Sie sehen nur die Schlagzeilen, die endlose Propaganda der Zeitungen. Verbrechen kommen in die Schlagzeilen, ihre Aufklärung nicht. Als Folge dessen betrachten einen die Leute außerhalb der Truppe als unfähig. »Sie sind Polizist? Warum schaffen Sie die Plünderer nicht von der Straße. Ich sehe nie einen Polizisten bei uns in der Straße. Ich dachte, dafür bezahlen wir Sie.« Und dann sieht man eben diese Person vielleicht irgendwo tot, Opfer des Verbrechens, vor dem man sie angeblich nicht beschützte. Es verändert einen, wenn einem klar wird, daß man nicht jeden beschützen kann, daß die Welt durch diese Arbeit kein bißchen besser wird. Man ist da, um das Leben zusammenzuhalten, und nicht, um die Jahrtausendwende herbeizuführen. Wenn man das unglaubliche Leid und die Unmenschlichkeit sieht, wird einem klar, wie wahr das ist. Früher oder später verschmelzen Bösewichter und Opfer alle zu einer einzigen elenden, verdammten Masse winselnder, verzerrter Leiber und vor Angst glasiger Augen. Man sieht Mord für Mord, und jeder erzählt seine eigene tragische Geschichte eines gescheiterten Lebens...
    Und dann bekommt man so etwas wie das hier. Es ist völlig sinnlos, es macht einem Angst. Man hat das schreckliche Gefühl, daß etwas Falsches geschehen ist, aber man weiß nicht, was es ist. Man will das Verbrechen unbedingt aufklären, weil die Opfer Mitmenschen waren. Die starren Leichen waren einmal Menschen aus dem Inneren, aus der wirklichen Welt des Reviers, nicht aus dem Chaos, das draußen vorbeiwirbelt.
    Normalerweise hat der Tod eines Polizisten nichts Geheimnisvolles an sich. Er klopft an eine Tür, und ein Junkie pustet ihn weg. Er ruft einem Bengel, der aus einem Spirituosengeschäft flieht, »Stehenbleiben!« nach und bekommt eine Kugel ins Gesicht. So sterben Polizisten, plötzlich und ohne Geheimnis. Tod in Ausübung der Pflicht - selten, aber es kommt vor.
    »Das Auto ist hier«, sagte Wilson. Becky war daran vorbeigegangen, sosehr war sie in ihre Gedanken vertieft gewesen. Aber sie stieg ein, fuhr mechanisch durch den heftigeren Regen, hörte zu, wie er aufs Dach trommelte, lauschte dem Wind, der an den geschlossenen Fenstern vorbeiheulte, spürte die zähe, schmutzige Feuchtigkeit des Nachmittags.
    Das Revier war dunkel und grau und stand wie ein schwarzes Monument im Sturm. Sie fuhren in die Tiefgarage unter dem Gebäude, ins plötzliche grelle Neonlicht, Bremsen und Reifen quietschten, während sie durch die Garage fuhren und in dem Teil parkten, der für die Mordkommission reserviert war.
    Underwood war nicht allein im Büro. Ein junger Mann im Polyesteranzug und mit runder, rahmenloser Brille war bei ihm. Becky mußte einen Augenblick an John Dean denken, dann sah das Gesicht auf, und der Eindruck der Jungenhaftigkeit

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