Wolfsdunkel -7-
Aufpasser – der dunkelhaarige, gedrungene Mann – stand heute Abend neben dem Tickethäuschen. Da der Andrang heute noch größer zu sein schien als gestern, wunderte ich mich, warum die Truppe beschlossen hatte, dass weniger mehr war.
Als ich ein paar Münzen aus meiner Tasche kramte, fiel mir dabei das Rindenstück mit dem Hakenkreuz in die Finger. Ich legte den Talisman auf die Ablage und schob das Geld durch den schmalen Schlitz unter dem vergitterten Fenster.
„Woher haben Sie das?“
Ich sah auf und stellte fest, dass der Blick des Kartenverkäufers auf dem Rindenstück haftete. Er sprach Englisch mit einem irischen Akzent, der allerdings nicht halb so charmant war wie Malachis – was vermutlich an seinem unentwegt mürrischen Gesichtsausdruck lag.
„Es wurde hier in der Nähe gefunden.“
„Es beherbergt eine mächtige Roma-Magie.“ Er versuchte, mit seinen skelettartigen Fingern unter den Gittern hindurchzufassen und danach zu hangeln, aber ich kam ihm zuvor. „Ein gadje sollte so etwas niemals berühren!“
Der Aufpasser drehte sich zu mir um und ließ ein grollendes Knurren hören, sodass ich schnell auf Abstand ging.
„Wa-warum?“, stotterte ich.
„Sie sind marime “, erklärte der alte Mann. „Geben Sie es mir.“
„Äh, nein.“ Grace würde mir den Kopf abreißen. Es war ein Beweisstück. Eventuell.
„Hogarth“, rief er, woraufhin der andere Mann drohend auf mich zukam. Ich wollte eilig die Flucht antreten und prallte mit Malachi zusammen.
„Was ist hier los?“
Hogarth zog sich murrend zurück. Der alte Mann kam aus dem Häuschen. „Sie hat eine Rune.“
Malachi gab dem Ticketverkäufer mit einem scharfen Nicken zu verstehen, sich wieder hinter das Eisengitter zu verziehen, bevor er sich Hogarth zuwandte. „Musst du dich nicht um die Show kümmern?“
Der Rausschmeißer trollte sich, allerdings bedachte er mich zuerst noch mit einem vernichtenden Blick. Ich mochte seine Augen nicht. Sie waren klein, dunkel und ein bisschen wild.
„Darf ich die Rune sehen?“, fragte Malachi.
Ich gab ihm das Rindenstück. Er sah es sich kurz an, und sein Mund wurde ernst.
„Gehört es dir?“, platzte ich heraus.
Er zog überrascht die Brauen hoch. „Mir? Nein.“
„Der Mann hat gesagt, dass sie eine mächtige Roma-Magie beherbergen soll.“
„Dies ist eine isländische Rune.“
Isländisch – was Sinn machte, wenn man den Ursprung der Swastika bedachte. „Warum sollte eine isländische Rune für Roma-Magie verwendet werden?“
„Nicht Magie. Zumindest nicht so, wie du es dir vorstellst. Viele Leute führen zum Beispiel Glück auf Magie zurück.“
„Soll das heißen, dass das hier ein Glücksbringer ist?“
„Ja. Die Roma haben von den Ländern, durch die sie kamen, viele Symbole übernommen.“
„Wie fertigt man so etwas an?“
„Ganz einfach. Obstbäume werden als Lebensspender verehrt, denn sie bringen Früchte hervor. Ein Stück von ihrem Stamm, ein wenig rote Farbe … “
„Nicht Blut?“
Er stieß ein kurzes, scharfes Lachen aus. „Nein.“
„Das Hakenkreuz scheint mir eine seltsame Wahl zu sein.“
„Es ist ein uraltes Zeichen.“
„Schutz und Wiedergeburt.“ Auf seinen forschenden Blick hin zuckte ich die Achseln. „Internet. Trotzdem, nach allem, was du mir über die Nazis erzählt hast … “
„Mein Volk sieht die Welt mit anderen Augen, als ihr es tut. Wer auch immer das hier angefertigt hat, hatte dabei nur seine ursprüngliche Bedeutung, die die Quelle seiner Energie ist, im Sinn. Indem man dieses Symbol in seinem ursprünglichen Sinn verwendet, nimmt man der Vergangenheit etwas von ihrem Übel.“
Ich bezweifelte, dass das Übel des Hakenkreuzes je ausgelöscht werden konnte, aber man sollte die Hoffnung nie aufgeben.
„Das hier wurde im Wald nahe der Stelle gefunden, wo der Mann von einem Wolf angegriffen wurde“, erklärte ich. „Derselbe Mann, der weiterhin vermisst wird und dringend eine Tollwutimpfung braucht.“
„Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat.“ Malachi neigte den Kopf zur Seite und lächelte. „Ich bezweifle, dass ein Wolf eine Rune bei sich tragen würde.“
Das bezweifelte ich auch.
„Jedenfalls gehört sie auch nicht dem Mann, der attackiert wurde, zumindest sagt das seine Familie.“ Ich hielt nachdenklich inne, dann wagte ich mich weiter vor. „Dein Kartenverkäufer meinte, dass ich die Rune nicht berühren solle, da ich marime sei. Ich dachte, das heißt
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