Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
Voyeur-Aufnahmen eben.«
Plötzlich war Tannenberg wieder hellwach. Geschwind erhob er sich und eilte zurück zu seinem Kollegen an den Monitor.
»Aber bitte keines dieser schrecklichen Bilder mehr«, flehte er vorsichtshalber auf dem Weg dorthin.
»Ich denke, in diesem Ordner sind vor allem diejenigen Filme, die von hier aus aufgenommen worden sind.« Mertel zeigte dabei mit einer Hand auf die beiden Studentenwohnheime, in deren Betonfassade inzwischen deutlich mehr Fenster leuchteten, als vorhin, als Tannenberg nur wenige erhellte Parzellen gesehen hatte.
»Kannst du die Aufnahmen irgendwie zeitlich ordnen?«
»Das ist nicht so einfach auf die Schnelle.«
»Wieso? Ich dachte immer, dass diese modernen Digitalkameras automatisch Tag und Uhrzeit angeben.«
»Nein, Wolf, nur dann, wenn du das auch einprogrammierst. Und dieser Hausmeister hat das offensichtlich nicht getan.« Er seufzte tief auf. »Ach, wenn wir nur genügend Zeit hätten, um ...«
»Haben wir nun mal aber nicht!«, bemerkte Tannenberg mit unüberhörbarer Schärfe in der Stimme.
»Die sind schon irgendwie geordnet, vielleicht sogar chronologisch, aber leider ohne Zeitangaben«, murmelte der angepflaumte Kriminaltechniker gelassen, während er eine unfreiwillige Stripperin sah, die sich gerade auszukleiden begann.
Mertel riss seinen Blick davon los und betätigte den Schnelldurchlauf. Die Kamera schwenkte ein Stockwerk tiefer zu einem anderen Fenster. Mertel schloss die Datei, öffnete die nächste.
Ein zunächst menschenleeres Appartement tauchte auf. Wenige Sekunden später betrat eine halbnackte junge Frau, die anscheinend kurz zuvor geduscht hatte, den Raum. Plötzlich zuckte ein greller Blitz auf, es begann wolkenbruchartig zu regnen.
»Das war am letzten Sonntag vor einer Woche«, rief Jacob plötzlich, der sich unauffällig zu den auf den Monitor stierenden Männern gesellt hatte. »Das weiß ich ganz genau. Da saßen Mutter und ich bei Jungmanns im Garten. Es hat dann auch gleich angefangen zu hageln. Ganz dicke Körner. Die haben mit einer zentimeterdicken Schicht alles bedeckt – wie im Winter.«
Der Senior hatte dies gerade ausgesprochen gehabt, als sich ein grauer Körnerschleier vor die Kamera schob, die auch sogleich abgeschaltet wurde.
»Vielleicht ist das ja wirklich ein Anhaltspunkt – wenn’s nicht gerade ein Gewitter vom letzten Sommer war.«
Mertel rechnete die Tage bis zum Todessturz der Studentin nach, zählte mit dem Zeigefinger die nächsten zehn Dateien ab und öffnete auf gut Glück die vermeintlich richtige Filmsequenz. Dass es sich dabei aber um einen Fehlgriff handelte, zeigte der Schnelldurchlauf. Man konnte zwar keine Einzelheiten erkennen, aber die Tatsache, dass auf keinem der ab und an im Bild auftauchenden Balkone irgendetwas passierte, war für alle Betrachter klar ersichtlich.
»Verdammt! Nimm mal die nächste!«, befahl Tannenberg, der immer ungeduldiger wurde.
Auch die Sichtung dieser Datei verlief ohne greifbares Ergebnis, ebenso wie die der beiden nächsten.
»Wolf, du darfst jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Wir packen hier alles zusammen und dann schauen wir nachher bei mir im Labor alles der Reihe nach durch. Dort können wir parallel an mehreren Computern arbeiten«, versuchte der Kriminaltechniker Tannenberg zu trösten. »Und wenn da irgendwo auch nur das Geringste drauf ist, was dich von diesen bescheuerten Verdächtigungen entlasten könnte, finden wir es auch. Das verspreche ich dir.«
»Nein, Karl, du machst jetzt hier noch eine Weile weiter!«, sagte Tannenberg in Kasernenhofton. Doch von der einen zur anderen Sekunde wich plötzlich die Aggressivität aus seinem Gesicht und wurde von einem Ausdruck enormer Verzweiflung ersetzt. »Bitte, Karl, bitte tu mir den Gefallen«, bat er eindringlich.
»Schon klar, Wolf, natürlich.« Mertel öffnete die nächste Datei, ließ den Film im Zeitraffer ablaufen.
»Stopp!«, schrie plötzlich Kriminalhauptmeister Geiger, der schräg versetzt hinter Mertel stand und ebenfalls die ganze Zeit über seine Augen gebannt auf den Bildschirm gerichtet hatte. »Da war was!«
»Karl, los, spul zurück, ich hab’s auch gesehen«, forderte Tannenberg.
»Ich doch auch, Leute. Ich bin ja schließlich nicht blind«, bemerkte der Kriminaltechniker
I n normaler Abspiel-Geschwindigkeit sahen die Männer nun etwas, das sie für eine Weile gänzlich ihrer Sprachfähigkeit beraubte: Mitten während eines Schwenks hin zu einem anderen
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