Wolfsfeuer (German Edition)
war ihm am liebsten, wenn sie nicht redete.
Eine Vision davon, was sie gewöhnlich tat, wenn sie nicht redete – nämlich eine Nummer mit ihm zu schieben – , flirrte durch seinen Kopf, und zum ersten Mal, seit er denken konnte, machte es ihn nicht gleichzeitig wütend und geil. Es machte ihn nur geil.
Die Frau war die aufregendste Sexpartnerin, die er je gehabt hatte.
Julian stockte das Herz, als er seine eigenen Gedanken hörte. Was war bloß in ihn gefahren?
Er sog die klare, eisige Luft tief in seine Lungen. Nur leider war die Luft nicht klar – sie roch nach ihr.
»Er ist wirklich dein Bruder, oder?«, fragte sie.
Julian, der das Gesicht dem grauer werdenden Himmel zugewandt hatte, senkte es zu ihr. »Was ist das für eine blöde Frage?«
»Ihr seht euch nicht sehr ähnlich.« Sie zog eine Braue hoch. »Und ganz sicher habt ihr nicht den gleichen Charakter.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Wenn du ihn deinen Bruder nennst, meinst du dann deinen Waffenbruder, deinen Blutsbruder oder … « Sie vollführte eine seltsame Geste mit ihrer Hand, die Julian an ein L. A.-Gang-Mitglied aus der einzigen Folge von Cops , die er je gesehen hatte, erinnerte, bevor sie, sehr nach L. A. klingend, nuschelte: »Eh, Alder! Mein Brudder von ’ner andern Mudder.«
Auf seine noch immer verständnislose Miene hin ließ sie seufzend die Arme sinken und fragte: »Habt ihr dieselbe Mutter? Denselben Vater? Seid ihr zusammen aufgewachsen? Ist er wirklich dein Bruder, oder ist das eine Art Ehrentitel?«
»Er ist mein Bruder«, bestätigte Julian. Sie hatten zwar nicht dieselbe Mutter, aber damals, zu Zeiten der Wikinger, war das nichts Ungewöhnliches gewesen. Das Leben war hart, und die Frauen starben jung, darum hatte ein Wikinger oft mehr als eine Frau.
»Du hältst ihn noch immer für den Killer?« Julian lachte. »Das Einzige, woraus Cade sich je etwas gemacht hat, ist die Heilkunst. Er könnte keiner Fliege was zuleide tun – weder damals noch heute. Und zu einem Mord ist er ganz bestimmt nicht imstande.«
Alex’ Blick glitt zu der Tür, die sie von Cade trennte. »Dann muss ich wohl auf dein Wort vertrauen, nachdem ich ihn nicht gekannt habe, als er noch menschlich war.«
»Du kanntest auch uns andere nicht, als wir noch menschlich waren.«
Wodurch es ihr verdammt schwerfallen würde, herauszufinden, wer schon gern menschliches Blut vergossen hatte, bevor ihm Fangzähne gewachsen waren.
»Wäre jemand von uns ein psychopathischer Mörder«, fuhr Barlow fort, »hätte er dann nicht schon früher getötet?«
»Das sollte man eigentlich meinen«, stimmte Alex ihm zu. »Aber vielleicht hat er seine Gräueltaten ja irgendwo anders verübt. Gibt es jemanden, der das Dorf regelmäßig verlässt?«
»Jeder verlässt es gelegentlich. Sie sind keine Gefangenen.«
»Nein , sie sind das nicht«, grummelte Alex.
Julian seufzte. »Wäre deine Theorie richtig, warum sollte der Täter die Inuit töten, wenn er sich irgendwo anders ungestört austoben könnte?«
»Ja, warum?«
»Du bist die Expertin.«
»Theorien sind nicht mein Metier, mein Metier ist …« Alex ließ ihre Stimme verklingen und runzelte die Stirn. Allem Anschein nach suchte sie nach dem richtigen Wort.
Julian hatte eines anzubieten. »Der Tod?«
Ihre Augen wurden schmal, dann stimmte sie gleichgültig zu. »Meinetwegen. Mein Metier ist der Tod. Ich spüre sie auf, dann töte ich sie.«
»Du spürst uns auf«, berichtigte er sie. »Du tötest uns .«
»Wie auch immer. Willst du mir nun helfen oder nicht?«
Julian war mehr als versucht abzulehnen. Aber er war nicht dumm. Je schneller sie den Killer entlarvten und eliminierten, desto weniger Menschen würden sterben. Wenn das bedeutete, dass er mit dem Feind zusammenarbeiten musste, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn, dann …
»Einverstanden.«
20
»Wir brauchen einen Köder«, sagte Alex.
»Du sprichst von … «, Barlow zog die Stirn kraus, »… Fleisch?«
Fleisch . War das nicht mal wieder typisch Werwolf?
»Du magst sie Fleisch nennen«, konterte sie. »Ich nenne sie Menschen.«
»Du hast vor, einen Menschen als Köder zu benutzen?«
»Hast du eine bessere Idee? Wir sprechen hier immerhin von einem Wer wolf.«
»Das würde bedeuten, ein weiteres Leben zu opfern.«
»Ich habe nicht vorgeschlagen, den Betreffenden für ein übergeordnetes Wohl sterben zu lassen. Ich bin schließlich nicht du.«
Barlow knirschte wieder mit den Zähnen, und Alex hatte Mühe, nicht zu feixen.
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