Wolfsfieber - Band 2
muss.“
„Aber wieso hast du es nicht einfach zu dir mitgenommen?“, wollte ich wissen und war mir nur allzu bewusst, wie feige das klang.
„Weil es nicht unbeaufsichtigt bleiben darf … Wenn du es siehst …, es verstehst, wirst du wissen, was ich meine.“ Sein Blick durchbohrte mich regelrecht, dass es bis in meine Magengrube drang.
Obwohl er mich zur Jagdvilla in den Wald brachte, hatte ich das Gefühl, dass er mit sich und dieser Entscheidung im Zwiespalt befand. Istvan stieg langsam aus, öffnete meine Autotür und hielt mir seine Hand hin. Ich nahm sie und versuchte den Weg zu Villa entlang nicht in die Richtung zu sehen, wo Farkas mir aufgelauert hatte. Und dennoch zogen sich meine Eingeweide heftig zusammen. Als könnte er es ahnen, drückte Istvan meine Hand.
„Keine Sorge. Solange du hier bist, bewachen sie die Villa mit Argusaugen“, erklärte er und deute auf Jakov, Serafina und Woltan, die Position um das Gebäude bezogen hatten. Jeder von ihnen nickte mir kurz zu. Ich kam mir vor, als würde ich zu einem versteckten Gipfeltreffen geführt. Schließlich schafften wir es bis ins Haus, wo Valentin uns schon offenkundig erwartete. Seine elegante Haltung kam mir zum ersten Mal wie eine bröckelnde Fassade vor, auch wenn ich nicht wusste, was diesen Eindruck weckte.
„Schön euch zu sehen. Auch wenn die Umstände … na ja … erfreulicher sein könnten.“
„Es freut mich auch, Valentin“, log ich in guter Absicht. „Aber wieso bin ich wirklich hier? Istvan scheint mir nichts Genaues sagen zu wollen“, murmelte ich angespannt und voller Ungeduld. Und was sagte er dann auch noch, die geballte Macht seiner Samtstimme gebrauchend? „Hab Geduld. Du wirst es bald verstehen.“ Als er sah, dass die Wirkung seiner Worte bei mir fehlschlug, drückt er mir aufmunternd die Schulter. Danach wandte ich mich müde und unverstanden dem verstummten Istvan zu, der wie ein Requisit vor der Kellertür stand, darauf wartend, dass ich zu ihm kam. Mit einem mulmigen Gefühl folgte ich ihm, bis ich vor der Treppe zum Keller stand. Er knipste eine hin- und herschwankende Lampe an und ging voran. Die knarrenden Holztreppen schienen mich nur schlecht zu tragen, als ich ihm ins Dunkle folgte. Ich hörte eine verzogene Tür scharren. Dann umwehte mich ein feuchter, muffiger Geruch. Als ich durch die schemenhaft zu sehende Tür trat, flackerte eine Öllampe auf, die Istvan gerade dabei war anzuzünden. Der kleine Raum war jetzt schwach beleuchtet. Drei alte, raue Regale standen an einer Wand. Davor befand sich ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen, auf dem die Lampe stand. Das war es also: das sogenannte Spezialarchiv, Istvans geheime Sammlung. Alles wirkte reichlich improvisiert. Die meisten Bücher schienen mir sehr alt zu sein, doch das Licht war zu schwach, als dass man etwas genauer lesen konnte. Istvan sagte nichts, während ich mich zögernd umsah. Er beobachtete mich stattdessen.
„Wieso jetzt? Nach all den Monaten … wieso zeigst du es mir jetzt?“
Er tat noch einen Schritt zurück, weg von mir, bis er an der Regalwand lehnte. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nachdem du fast ertrunken wärst …“ Er stöhnte auf, schloss die Augen und begann noch mal. „Erinnerst du dich noch, als du so fest geschlafen hast? An dem Abend habe ich Valentin angerufen und gebeten, zu mir zu kommen. Ich habe im klar gemacht, dass ich nichts, was dir vielleicht helfen könnte, länger verschweigen werde und das er mir besser erlauben sollte, dir das Geheimnis zu verraten, wenn ihm dein Leben etwas bedeutet und er sich nicht mit mir anlegen möchte.“ Er sprach ganz ruhig. Klar. Ich musste schlucken. Ich konnte kaum glauben, dass er Valentin gedroht hatte. Meinetwegen. Nach allem, was Valentin und seine Familie für uns getan hatten und noch immer taten. Istvan musste völlig außer sich vor Angst gewesen sein.
„Und da hat er es dir erlaubt?“, meinte ich unsicher. „Ja, hat er“, antwortete er knapp. „Wieso bist du dann so … angespannt?“
„Weil das Geheimnis, unser aller Geheimnis, etwas Grauen-volles ist. Etwas Dunkles, das schon viel Unheil angerichtet hat“, erklärte er mir eindringlich, drehte sich dabei um und zog einen alten Ledereinband hervor, in dem viele lose Blätter zusammengehalten wurden. „Das hier …“, er deutete auf den Band, den er auf den Tisch legte, „… erklärt es besser, als ich es je könnte“, meinte er, das Stoffband lösend, das die Seiten zusammenhielt.
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