Wolfsfieber - Band 2
Istvan rückte einen Stuhl zurecht und bat mich, Platz zu nehmen. Ich tat es und wartete, dass er sich zu mir setzen würde, doch er trat zurück und lehnte sich erneut gegen die Bücherwand, mit überkreuzten Armen und angespanntem Kiefer. „Du musst wissen, wir behalten es nur in unserem Besitz, damit jeder, der zu diesem Leben gezwungen ist, versteht, wie wichtig es ist, das Geheimnis zu kennen und zu wahren.“
Istvans dunklen Augen bohrten sich mit jedem Wort tiefer in meine, bis mir eine unheilvolle Gänsehaut über den Rücken lief.
Ohne sich zu bewegen, nickte er schroff mit dem Kinn in meine Richtung. Seine Stimme war dunkel und fern.
„Lies!“
Also begann ich laut zu lesen, was gar nicht so einfach war, denn die Schrift des Textes war vergilbt und in einer schnellen, unordentlichen Schreibschrift gehalten, die das dürftige Licht kaum verbesserte.
Leipzig, den 24. September 1799,
Wohlverehrter Herr,
mit klammen Herzen erhielten wir Ihren Brief vom Lande. Noch immer scheinen uns die geschilderten Geschehnisse unbegreiflich. Dennoch sind wir übereingekommen, eine Abschrift des Berichtes, welcher dieser tapfere Jäger in solch edler Gesinnung anfertigte, unserer Chronik beizufügen. Sollte nur die geringste Möglichkeit bestehen, dass die dargelegten Gräueltaten der Wahrheit entsprechen und der Teufel dieses arme Dorf heimzusuchen pflegt, dürfen wir als brave Christenmenschen nicht hintant-sehen unsere heilige Pflicht zu erfüllen, indem wir die Kunde verbreiten. Um auch Ihrer Dorfchronik eine Abschrift zuzuführen, ließ ich eine solche anfertigen und habe mir erlaubt, sie diesem Brief beizulegen.
Möge Gott uns beistehen.
Ihr treuer …
Der Rest war derart vergilbt, dass man ihn nicht mehr lesen konnte. Das galt auch für das Postskriptum. Verständnislos sah ich zu Istvan. Er sah mich unverwandt an, stöhnte leise auf und bat mich nur weiterzulesen, was ich tat.
… Fürwahr ich sage euch, in diesem Sommer trieb der -Teufel in einer seiner zahllosen Verkleidungen sein Unwesen in den Wäldern, die unser braves Dorf umgeben. Ich selbst glaubte der Geschichte meines alten Jagdgefährten zunächst nicht, wie ich zu meiner Schande eingestehen muss. Folgendes war passiert:
Mein alter Freund kam nach einem Waldspaziergang, zu dem er immer seine Büchse mitzunehmen pflegt, zurück und berichtete von seinem Erlebnis. In unserem Jagdrevier sei ihm ein ungewöhnlich aussehender Wolf begegnet, der ein Reh habe anfallen wollen, das er gerade selbst zu erlegen hoffte. Als sich ein Schuss löste, sei der Wolf unversehens auf ihn aufmerksam geworden. Er habe demnach seine Büchse gehoben und dem Tier in die Vorderpfote geschossen. Den hinkenden Wolf verfolgend, bemerkte mein Freund, dass dieser sich merkwürdig schnell von seiner Wunde erholte. Noch einmal schoss er auf das kräftige Tier und verletzte es schwer. Wo er doch das Reh verloren hatte, wollte er zumindest in Besitz des Wolfsfelles gelangen. Er folgte ihm. Die Spur des Tieres endete plötzlich vor einer kleinen Hütte. Da Licht brannte und Blut zu sehen war, trat mein Jägerfreund ein und fand eine Frau vor, die einen nackten Mann ohne Besinnung verband. Mein Freund, ein treuer Christ, wusste sofort, dass er auf Treiben des Teufels gestoßen war, und machte sein Kreuz, ehe er ins Dorf zurückkehrte, wo er mich beim Wirt fand und mir von dem Unwesen berichtete, das unser Landen heimsucht.
Ich, als der älteste Jäger unseres Dorfes, nahm drei weitere Männer samt ihrer Büchsen in die Pflicht. Nachdem wir den Segen des Pfarrers empfangen hatten, machten wir uns gen Wald auf, um den Mannwolf zu stellen. Doch erst, als auch ich den rie-sigen Wolf mit den Teufelsaugen bei Vollmond vor die Büchse bekam, schenkte ich der Geschichte meines Freundes Glauben. So schnell war er, dass jeder der Männer mir beipflichtete, es könne kein gewöhnliches Wolfsvieh sein. Selbst in den Morgenstunden, nach einer endlosen Treibjagd, gelang es uns nicht, das Wolfstier zu stellen und es von Gottes Erde zu tilgen. Unverrichteter Dinge mussten wir ins Dorf zurückkehren, wo unser Bürgermeister ein Verbot aussprach, den Wald bei Strafe zu -betreten. Meine Männer und ich warteten und machten uns bereit. Wir hatten dem Teufel eine Falle errichtet. Das Licht des Tages nutzend, gruben wir eine Grube, die wir mit einem Fischnetz und Waldlaub bedeckten. Wir hatten genug Bleikugeln – dem Schmied sei Dank – in unserem Besitz, um das Unding zu erlegen. Bei
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