Wolfsfieber - Band 2
Einbruch der Nacht versammelten wir uns bei der Hütte, wo das Wolfswesen zumeist gesehen ward. Einer der jungen Männer entdeckte das Tier und rief verängstigt, dass dem sogar zwei seien. In meine Richtung kam das teuflische Paar. Ich legte auf die seelenlosen Augen an und traf das kleinere Tier. Zurückgetrieben wichen sie unseren Büchsen aus, bis sie auf den Grubenrand trafen. Mit lautem Geheul fielen sie in die tiefe Grube und wanden sich winselnd umher. Die Büchse in Händen auf die Untiere gerichtet, wartete ich auf meine Männer. Als sie sahen, was ich sah, stand ihnen die Angst ins Antlitz geschrieben. Der kleinere Wolf schüttelte sich wie toll. Aber es war kein Schaum vor dessen Maul. Wir legten gemeinsam an und ein jeder schoss seine Bleikugel auf die Wolfsgetiere ab. Doch als sich der Rauch unserer Büchsen gesenkt hatte, blickten unsere starren Gesichter auf einen zuckenden Weiberleib und einen zerschossenen Mannskörper, dessen bleicher Leib sich ebenfalls in toller Verzückung hin und her wand. In fremden Zungen keuchten sie einander an. Ich dachte so bei mir: „Aber ihr Gebet sprechen diese Ketzer nicht!“ Es mag fast eine halbe Stunde dahingegangen sein, bevor die Teufelswesen endlich verendet waren. Ich befahl, sie auf keinen Fall zu berühren, damit des Teufels Pest nicht auf meine Männer übergreifen würde. So füllten wir die Grube mit Erde und tilgten die letzten Überreste dieser Unwesen von Gottes Angesicht. Gegen Morgen kam der Pfarrer, sprach seine Gebete und segnete die verfluchte Stelle mit Weihwasser.
Seit diesen Tagen sind wieder Fried und Ruh in mein Dorf eingekehrt. Der Bürgermeister und ich sind dennoch übereingekommen, jeden Wolf, der in unseren Wäldern gesichtet wird, zu erschießen. Wie der Pfarrer sagt: ‚Gott hilft denen, die sich selber helfen.‘ Wir braven Leute wissen jetzt, wie dem Teufel in seiner Wolfshaut beizukommen ist.
Paul Andreas Hofer, Jäger
Ich war sprachlos. Und das lag nicht nur an der scheußlichen Geschichte, die ich gerade laut gelesen hatte. Mir schwirrten zahllose Gedanken und Fragen im Kopf herum. Das Schlimmste war, dass ich, als ich die Geschichte las, sie nicht aus der Sicht der Menschen sah. Zuerst sah ich in dem armen, verletzten Werwolf Istvan und in der Frau, die ihn verband, mich selbst. Als mir klar wurde, dass seine Gefährtin ebenfalls ein Wolf war, begann ich die beiden mit den Gesichtern von Jakov und Serafina zu sehen. Die Grausamkeit, mit der man diese armen Menschen zu Tode gehetzt hatte, schockierte mich. Der selbstgerechte Ton des Jägers, der in den kurzen Zeilen durchschien, brachte mich fast in Rage, deshalb sagte ich auch:
„Das ist unfassbar. Diese Grausamkeit. Diese Ignoranz. Die beiden haben doch niemanden etwas getan und wurden abgeschlachtet . Einfach so. Ohne jede Reue …“ Meine Wut entging Istvan keineswegs. Ich hatte erwartet, dass er ebenso empört sein würde, wie ich. Doch er zuckte nur mit den Schultern und atmete durch die Nase.
„Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass dieser Vorfall ein Einzelfall war. Doch weit gefehlt. Nachdem sie die Sache mit dem Blei raus hatten, waren wir innerhalb kurzer Zeit beinahe ausgerottet. Das war aber schon lange vor diesem Bericht … Er ist nur der einzig schriftliche Beweis unseres -Geheimnisses, den ich kenne. In anderen Quellen wird oft von Silber geredet oder von anderen Dingen, die allesamt keine Auswirkungen auf uns haben.“ Er machte eine Pause und setzte sich nun doch zu mir. Von Angesicht zu Angesicht starrten wir uns ernst und nachdenklich an.
„Blei also“, murmelte ich. „Darauf wäre ich nie gekommen. Es ist so … fatal. Ich meine, waren nicht lange Zeit so gut wie alle Kugeln aus Blei!“, stieß ich erschrocken hervor. Er nickte stumm. Oh!
„Heutzutage hat sich das sehr verändert. Es gibt nur noch wenige Patronen, die Blei enthalten. Es ist eher die Ausnahme.“
„Aber wie tötet euch das Blei?“, fragte ich, obwohl ich es mir nicht vorstellen wollte.
„Du hast bestimmt schon mal von Bleivergiftung gehört … sagen wir mal, für uns ist Blei das extremste Gift, das es gibt. Wir reagieren unmittelbar darauf. In diesem Fall ist die Dosis völlig egal. Gelangt nur eine winzige Spur des Metalls in unseren Blutkreislauf, geht es mit uns zu Ende.“ Als er den Satz beendet hatte, war eine unangenehme Stille zwischen uns getreten, die mit Händen greifbar war.
„Niemals …“, sagte ich fest und fixierte seine dunkelgrünen
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