Wolfsfieber - Band 2
Minuten zogen sich endlos dahin. Irgendwo da unten, ohne dass ich es hören konnte, klopfte mein Tonband-Herz, um ein Raubtier anzulocken, während ich hier oben versuchte, nicht vom Baum zu fallen. „Valentin“, flüsterte ich, als wäre das notwendig, „was, wenn die Aufnahme stoppt, bevor …“ Er unterbrach mich. „Dann wiederholen wir es so lange wie nötig“, wisperte er ruhig zurück. Ich wünschte, er könnte mir ein wenig von seiner Zuversicht leihen.
Ich setzte das Fernglas wieder vor meine Augen. Fast wäre ich vom Ast gekippt, als mir bewusst wurde, was meine Augen sahen. Etwas Helles kam aus dem dunklen Loch, das schräg auf der leichten Anhöhe im Waldboden klaffte. Sofort wusste ich, dass es Farkas war, da mir sämtliche Haare zu Berge standen. Auch Marius verlagerte angespannt sein Gewicht, was den Ast leicht zum Wackeln brachte. Farkas fällt darauf rein! Er schluckt den Köder!
Langsam, aber ohne sich groß umzusehen, kam Farkas aus seiner Höhle. Er wirkte verlottert wie immer. Sein Kopf war geneigt, genau so, als würde er auf etwas hören. Übermenschlich schnell hastete er auf den Felsen zu und wollte mit seinen Händen nach dem Geräusch schnappen. Aber seine Hände rafften nur den Kunststoff des Rucksacks zusammen. Verwirrt riss er ihn in die Höhe. Mit einem einzigen Ruck zerfetze er ihn und unsere Falle fiel ihm direkt vor die Füße. Ob mein Herz dort immer noch schlägt? Dieses, mein eigenes, schlug andererseits so laut und heftig, dass es mir für Valentin und Marius Ohren leidtat. Ich zuckte zurück, als Farkas mit einer unglaublichen Wut auf mein Diktiergerät eintrat. Es lag schließlich in Einzelteilen zerstreut vor ihm. Erst dachte ich, er würde tobend losbrüllen, doch dann schien ihm aufzufallen, was das Ganze zu bedeuten hatte. Denn sein Kopf schnellte hoch, um sich hektisch umzublicken. Mit einer barschen Geste beugte sich sein Körper in die Richtung, in der sich Istvan und die anderen versteckt hatten. Mir wurde übel. Warum griffen sie nicht an? Er war eindeutig allein und damit im Nachteil. Ich sah Valentin an, der sofort meine Gedanken von meinem Gesicht ablas. Aufmunternd nickte er mir zu.
Als Farkas in die Richtung gehen wollte, kam plötzlich Istvan, jetzt ohne den Mantel, hinter seinem Rücken auf ihn zu. Bevor Farkas sich noch umwenden konnte, packte Istvan ihn mit beiden Händen am Hals. Und eine Sekunde lang dachte ich wirklich, dass es jetzt geschehen würde, dass Istvan ihm das Genick brechen würde. Doch Farkas biss ihn, noch ehe Istvan seinen Vorteil ausnutzen konnte, in den Unterarm. Daraufhin brach die Hölle los. Jakov kam zusammen mit Woltan von vorne auf Farkas zu, während Serafina hinter der Anhöhe hervorsprang. Alle stürzten sich auf Farkas und begruben ihn unter sich. Doch dieser Mann war so unfassbar stark, dass es ihm tatsächlich gelang, unter ihnen hervorzukriechen, um einen kurzen Heuler auszustoßen, als wäre er selbst jetzt, gefangen in einem Menschenkörper, wölfisch. Eine paar Augenblicke später tauchten aus dem Tunnel Dimitri und Vladimir auf, die sich sofort auf Serafina und Jakov stürzten. Für Woltan schienen sie gar keine Augen zu haben. Der baute sich zusammen mit Istvan vor Farkas auf. Wie beim Training gingen beide in Kampfposition: fester Stand, Hände in Abwehrhaltung und alle Muskeln angespannt. Farkas ließ sich davon nicht beeindrucken und stürzte sich auf Istvan, der jedoch von Woltan abgeblockt wurde. Mit einer immensen Wucht rammte dieser sein Bein in Farkas’ Bauch. Jeder Mann wäre dabei sofort zurückgefallen, doch Farkas krümmte kurz den Oberkörper und das war’s dann auch. Mit einem einzigen Kinnhaken beförderte er Woltan auf den Boden, wo ihn Istvan aber sofort hochzog und hinter sich brachte. Jetzt konnte ich die blanke Wut in Istvans Gesicht sehen. Mit einem lauten Schrei stürzte er sich auf seinen Vater, beförderte ihn auf den Waldboden und schlug auf ihn ein. Zuerst wehrte sich Farkas kaum, doch dann biss er Istvan heftig in die Schulter, woraufhin er aufschrie, ließ sich aber nicht von ihm abschütteln, bis Farkas die Hände um seinen Hals legte und versuchte, ihm seinen Kopf brutal in den Nacken zu reißen.
Oh, Gott! Er versucht ihn zu töten! Er will ihn auslöschen!
Ohne nachzudenken, fuhren meine Finger zu dem Bleidolch, den ich an meinem Gürtel trug. Bevor ich noch versuchen konnte, mich vom Baum fallen zu lassen, klammerten sich Valentins Finger um meine Hüfte. Er drückt mir fast die
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