Wolfsfieber - Band 2
einen Blick auf einen undefinierbar hellen Fleck, der sich auf der obersten Treppe befand. Ich konnte mich nicht genug konzentrieren, um zu erkennen, was es war. Ich, das Häufchen Elend, kauerte mich noch mehr zusammen und versuchte die müden Augen zusammenzukneifen, dann erst erkannte ich es. Ein Blitzschlag fuhr durch mich hindurch, nur war dieser Schlag eiskalt.
Es war ein weißer Turnschuh. Ich riss den Kopf ruckartig nach oben. Verdammt, wieso muss es so dunkel sein, fluchte ich gedanklich.
Doch das bisschen Licht reichte aus, um ihn zu sehen. Es musste Istvan sein und doch stand ein Mann vor mir, den ich nicht wirklich erkennen konnte. Ein großer, drahtiger Mann in einer hellen Jeans stand am Ende der Treppe, mir gegenüber. Er trug ein Kapuzen-Sweatshirt, die regennasse Kapuze tief ins Gesicht gezogen. So konnte ich sein Gesicht nicht richtig sehen. Er stand nur starr vor mir und starrte auf mich he-rab, als wäre ich etwas, was es in dieser Welt gar nicht gäbe … oder geben dürfte. Ich versuchte durch die Dunkelheit zu spähen. Er kam nicht näher, aber als ein kleiner Schatten wanderte, traf mein Blick auf sein Gesicht. Grüne Augen starrten traurig und unergründlich auf mich, nein …, durch mich hindurch. Dieser undurchschaubare Smaragdblick durchbohrte mich. Da wusste ich, dass es Istvan war, auch wenn ich ihn eigentlich nicht sehen konnte. Mein Herz begann zu rasen bei der Vorstellung, dass er nur ein paar Schritte entfernt war und mich ansah. Ich hatte Angst, mich überhaupt zu bewegen, ich wagte nicht, auf ihn zuzugehen. Vielleicht würde das die Illusion zerstören. Oder er würde wieder verschwinden, genauso lautlos, wie er gekommen war.
Ich seufzte laut, mein Puls raste. Ich versuchte mich dennoch aufzurichten. Ich nahm meine Hände zur Hilfe, die sich unsicher rückwärts an den Holzpaneelen entlangtasteten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ich endlich aufrecht stand. Meinen Blick behielt ich auf dem Fremden, von dem mir mein Herz sagte, dass es Istvan sein musste, den mein Verstand aber nicht zu erkennen glaubte.
„Bitte“, stammelte ich kleinlaut, „ich muss wissen, dass du es wirklich bist“, flüsterte ich angestrengt und schloss ausgelaugt und angsterfüllt die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, war er einen Schritt näher gekommen. Er sprach nicht mit mir, aber er nahm seine Hände hoch, um seine Kapuze vom Kopf zu streichen. Ein lautloser Aufschrei entfuhr mir.
Er war es. Sein Anblick tat so unendlich weh und war dennoch wie der erste Atemzug nach einer Ewigkeit unter -Wasser, wie Licht in der Dunkelheit. Istvan anzusehen, war so -schmerzhaft für mich, weil ich in seinem Gesicht die Spuren lesen konnte, die meine „Entscheidung“ hinterlassen hatte. Unter seinen grünen Augen lagen tiefe, violette Schatten. Auf seinem leicht stoppeligen Kinn und Kiefer waren nun deutliche, kurze -Bartstoppeln zu sehen und am eindeutigsten war der verlorene, -traurige Ausdruck, der sich überall in seinem Gesicht wiederfand. Er tat am meisten weh. Aber alles, was ich so liebte und vermisste, war noch vorhanden. Die grünen Smaragdaugen, die hohen Wangenknochen, der schöne Mund und diese Wärme strahlten sogar schon aus der Entfernung auf mich ein.
Aber wieso kam er einfach nicht näher? Wollte er nicht? Erschreckte ihn vielleicht mein tragischer Anblick noch mehr als der seine mich?
War es jetzt an mir, Mut zu beweisen? Deswegen war ich schließlich hier. Ich war zurückgekommen, um zu kämpfen. Jetzt war der Moment da. Ich konnte nicht länger zögern. Ich hielt die Entfernung zu ihm sowieso nicht mehr aus.
Mit einem schwachen, zaghaften Schritt kam ich näher, weg von der Brüstung und hin zu Istvan, der an der Holzwand stand. Er war derart erstarrt, dass ich nicht mal sagen konnte, ob er überhaupt noch atmete. Doch als ich einen weiteren Schritt auf ihn zu machte, schreckte er vor mir zurück, kam aber fast gleichzeitig an mir vorbei gerauscht und stand im Bruchteil einer Sekunde an derselben Stelle, die ich gerade erst verlassen hatte. Wieso kam er, wenn er mir nur ausweichen wollte?
Ich drehte mich um zu Istvan, der bereits vor mir stand, nicht ganz dicht vor mir, aber beunruhigend nahe. Das Herz-rasen setzte erneut, mit aller Kraft ein. Aber ich sah es nicht. Ich hatte meinen eigenen Pulszustand immer an seinem -Gesicht ablesen können, eigentlich eher an seiner Reaktion auf meine Lebenszeichen. Doch jetzt: nichts.
War er taub geworden oder interessierte es ihn nicht
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