Wolfsfieber - Band 2
jedoch nicht geändert: Auch nach dem Maitanz blieb Miriam mir gegenüber reserviert. Ich versuchte mich damit abzufinden, obwohl ich mir ihr Verhalten nicht wirklich erklären konnte. Miriam war für mich auch aus einem anderen Grund ein rotes Tuch. Sie und Woltan waren geradezu widerlich ineinander verschossen und zeigten es mittlerweile sehr offen, was mich in meiner derzeitigen Situation wahnsinnig machte. Ertragen konnte ich es nur, indem ich mich öfter entschuldigte, aus dem Raum ging und mich entweder bei Serafina versteckte, die dem Geturtel ebenso wenig abgewinnen konnte, oder mich zu Valentin auf den Balkon setzte, wo ich eine weitere Lektion in Wolfsgeschichte oder ein Gleichnis zum Thema Geduld serviert bekam. Valentin schien geradezu besessen von dem Gedanken, mich gedul-diger stimmen zu können. Ich wusste seine Absicht zu schätzen, war mir aber sicher, dass er damit bloß Dünger auf unfruchtbaren Boden verstreute. Ich war schon immer ungeduldig gewesen, besonders wenn es um Istvan ging, das würde sich so schnell nicht ändern.
Istvan verbrachte wieder mehr Zeit mit Marius und seinen Kartenspielen oder klemmte sich hinter eine schwierige Übersetzung, die er erst angenommen hatte, nachdem unser Versuch einander näher zu kommen, misslungen war. Auch ich vergrub mich in Arbeit und traf mich nach langer Zeit wieder einmal mit Carla, die zu meiner großen Erleichterung auf eine Inquisition verzichtete und Istvan mit keinem Wort erwähnte. Vielleicht lag es auch daran, dass sie Christian zu unserem Essen mitgebracht hatte. Seit die beiden offiziell verlobt waren, waren sie noch enger zusammengeschweißt und sie flirteten wieder derart heftig miteinander, dass man meinen könnte, sie wären gerade frisch verliebt.
Wir waren gerade dabei, den Nachtisch zu bestellen, als die zwei schon wieder anfingen, sich abzuküssen. Sofort setzte ich meine ausdruckslose Miene auf, die ich dank Miriam und Woltan zur Perfektion kultiviert hatte.
„Oh, Entschuldigung. Wir gehen dir sicher auf die Nerven. Unsere Kollegen beschweren sich auch schon“, schmunzelte Carla, während Christian an ihrem Ohrläppchen knabberte.
„Nein, schon O. K. Es stört mich überhaupt nicht“, log ich unverfroren und verzog dabei keine Miene. Ich musste für Carla aussehen, als hätte man mir Novocain verabreicht.
„Also, dann wärst du die Einzige! Sogar unsere Eltern haben uns schon satt“, erklärte Carla weiter und kicherte, als Christian sie erneut an der Hüfte kitzelte.
„Ja, wir können einfach nicht anders. Ich nenne es den Verlobungseffekt. Keine Ahnung, ob man es wissenschaftlich nachweisen kann, aber ich steh drauf“, warf Christian amüsiert ein. Für einen ernsthaften Arzt, der auch noch Sinn für Humor -hatte, sah er eigentlich zu gut und zu jungenhaft aus, aber Carla gefiel das besonders.
Als ich versuchte, die Schokoladentorte hinunterzubekommen, ohne große Lust, beobachtet ich sie verstohlen weiter, wie sie sich gegenseitig fütterten und einander neckten. Ich wusste, es war selbstzerstörerisch, aber ich konnte einfach nicht anders. Jedes Mal, wenn Carla errötete oder Christian ihre Halsbeuge küsste, fühlte ich ein scharfes Ziehen im Magen und ein Brennen auf meinem Nacken, das mich an Istvans Berührung erinnerte, nach der ich mich jetzt noch mehr sehnte, als ich es ohnehin schon tat.
Doch eigentlich war ich über den Punkt der Sehnsucht bereits hinaus und ich genierte mich für die Eifersucht, die ich den zwei unbestrittensten Liebespaaren in meinem Umfeld entgegenbrachte. Normalerweise beneidete ich andere nicht wirklich oder missgönnte ihnen ihr Glück. Aber es schien mir ungeheuer unfair, dass Istvan und ich immer gezwungen waren, uns nacheinander zu verzehren, während es allen anderen -dagegen so leicht gegeben war, glücklich und zusammen zu sein. Ich hörte förmlich Martins moralinsaure Worte in meinem Ohr: „Joe, das Leben ist nun mal nicht fair!“
Am liebsten hätte ich bei dem Gedanken gegen etwas geschlagen, aber in dem italienischen Lokal konnte ich nicht vor den Augen meiner besten Freundin und ihres Verlobten plötzlich anfangen, alles zu zerschmettern. Also hörte ich weiter mit starrer Miene und einer Fassade aus Gleichmut und gespieltem Interesse Carlas Erzählungen von der abenteuerlichen Wohnungssuche zu. Hätte sie auch nur eine Frage an mich gerichtet, wäre ihr sofort klar geworden, dass ich ihr gar nicht wirklich zugehört hatte. Aber zum Glück reichte es ihr, wenn ich ab
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