Wolfsfieber - Band 2
und an geduldig nickte und ein neutrales „Verstehe“ murmelte. Christian sorgte ohnehin dafür, dass sie sich nicht sehr auf mich konzentrierte.
Als ich am Abend nach dem Essen nach Hause kam, hatte ich das Gefühl, endlich wieder frei atmen zu können. Ständig allen Leuten etwas vorzumachen und eine Es-ist-alles-in-Ordnung-Parole auszustrahlen, war ungemein anstrengend.
In dieser Nacht schlief ich tief und fest und war dankbar dafür, dass ich nicht träumte. Als ich am nächsten Morgen erwachte, wurde mir wieder bewusst, dass ich mit Istvan verabredet hatte, dass er heute den Abend bei mir verbringen würde. Es war eindeutig eine versöhnliche Geste, die er mit einem Essen versüßen wollte. Natürlich hatte ich das Angebot angenommen, wusste aber gleichzeitig, dass es schwer sein würde, ihn so lange ohne einen der Valentins zur Ablenkung um mich zu haben.
Als Istvan bei mir ankam, war es bereits Abend. Er hatte den Schutz der Dunkelheit genutzt und war über den Waldweg gegangen. Ich ließ ihn herein und hielt mich, wie sonst auch, wenn er für mich in meiner Küche kochte, von diesem Raum fern. Während ich seine flinken Handgriffe vom Wohnzimmer aus verfolgte, fiel mir plötzlich ein, dass ich meinen Anrufbeantworter noch gar nicht abgehört hatte. Ich ging in den Flur und ließ das Band laufen.
„Hello-He-Joe!“
Ich stoppte sofort den AB. Es gab nur einen einzigen Menschen, der mich auf diese Weise begrüßte: Malz. Was immer mir Malz zu sagen hatte, sollte Istvan nicht hören. Es konnte gut sein, dass er das abgelehnte Jobangebot erwähnte. Ich stellte den Ton auf die minimalste Lautstärke und hoffte, dass Istvans Supergehör bei dem Lärm des Ofens nichts mitbekam. Leider war die Aufzeichnung nun so leise, dass ich gezwungen war, mein Ohr an den Lautsprecher zu drücken.
„… Alle klar bei dir? Ich habe etwas für dich. Bei euch in der Nähe findet am Wochenende ein Frühlingsfestival statt. Pop meets Punk. Da musst du unbedingt hin. Schreib was Schönes darüber. Alle weiteren Infos findest du in deinen Mails. Ach ja, das Mädchen, das ich für dich angestellt habe – meine zweite Wahl – entpuppt sich als Glückstreffer. Sie hat was drauf, Joe! Du ärgerst dich bestimmt schon, dass du mein Angebot abgelehnt hast. Wie kann man nur Wien eintauschen für … Schon gut, ich reite nicht weiter darauf herum … Machs gut, Kleines!“ Piep.
Malz konnte sich noch nie kurz halten. Jetzt war ich äußerst froh darüber, dass ich so umsichtig gewesen war, seine enthüllende Ansage leise gedreht zu haben. Sofort als er das Job-Angebot erwähnt hatte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Doch als ich bemerkte, dass die Kochgeräusche nicht nachließen, seufzte ich erleichtert auf.
Das Essen Istvans war köstlich wie immer. Ein Traum aus Gemüse und Kräutern. Wir waren eher schweigsam, während wir die Mahlzeit zu uns nahmen, und wenn wir uns unterhielten, dann über Belangloses, wie Neuigkeiten aus der Bibliothek oder meine anstehenden Aufträge. Ich war mit meinen Gedanken ohnehin ganz woanders und konnte nicht aufhören über Malz’ Nachricht nachzudenken. Er hatte gefragt, ob ich meinen Entschluss bereits bereute, doch auch wenn mich unser derzeitiger Zustand bedrückte, empfand ich keine Reue und war mir sicher, dass ich richtig entschieden hatte. Eine Entscheidung für Istvan kam mir immer richtig vor. Dennoch fühlte ich eine merkwürdige Unruhe in mir, die sich verstärkte, als ich Istvans geistige Abwesenheit an diesem Abend bemerkte. Er schien ebenso wenig bei der Sache zu sein wie ich. Allerdings kannte ich den Grund dafür nicht.
Istvan hatte sich vorsorglich auf die gemeinsame Nacht vorbereitet und war mit seinen Übersetzungsunterlagen bewaffnet. Der dicke Papierstapel wirkte auf mich fast wie ein Bollwerk, errichtet zu seinem und zu meinem Schutz. Ich war aber nicht minder umsichtig. Schließlich musste ich für das anstehende Festival und über die teilnehmenden Bands recherchieren. Auf diese Weise verging der Abend. Ich saß mit meinem Laptop auf der Couch im Wohnzimmer und stellte meine Unterlagen zusammen, während Istvan auf dem kleinen Tisch schräg vor mir bedrucktes Papier zerwühlte und seine Übersetzungsversuche notierte. Normalerweise war Istvan dabei schnell und gründlich, brauchte keine mehrfachen Versuche. Doch heute Abend schien es schlecht zu laufen. Das Rascheln von Papier ließ niemals nach und sein Stift strich mit deutlichem Druck den Text durch, den
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