Wolfsfieber - Band 2
hingegen war nicht imstande, diese Veränderung in mir zu akzeptieren, wollte sie erst gar nicht bemerken, weil das hieße, dass er sich seiner eigenen Ablehnung würde stellen müssen. Ich hoffte händeringend, dass die kommenden Ereignisse helfen würden, Istvan noch näher an den Punkt zu bringen, wo ihm nichts anderes mehr übrig blieb, als sich selbst so zu akzeptieren, wie er war, so wie ich es tat. Valentin glaubte fest daran, dass es möglich sei, also tat ich es auch.
Das Flugzeug begann in der Zwischenzeit mit dem Sinkflug und zur allgemeinen Erleichterung landeten wir auf dem Marco Polo Airport auf dem Festland.
Das Wassertaxi fuhr geradewegs auf den überfüllten Markusplatz zu. Der Anblick von Venedig, La Serenissima, war überwältigend.
Die perfekte Verschmelzung von Schönheit und Vergänglichkeit. Die erlauchte Zerbrechlichkeit dieser Insel erstaunte mich ein weiteres Mal, schließlich trotzte sie seit Jahrhunderten dem zerrstörerischen Wasser. Aber mehr noch verzauberte mich ihre kunstvolle Zartheit, die ich nur als erhabene Grazie bezeichnen konnte. Diese bittersüße Anziehung wirkte enorm auf mich. Das galt für diese einzigartige Stadt an der italie-nischen Küste ebenso, wie es zehnfach mehr für meine bedingungslose Leidenschaft für Istvan galt. Als ich mir dessen bewusst wurde, ergriff ich, wie von selbst, seine Hand, die locker auf dem Bootssitz lag. Zugleich schenkte ich ihm ein sanftes Lächeln, das er zaghaft erwiderte. Er wollte gerade etwas sagen, da kletterte Woltan euphorisch, endlich dem Flieger entkommen, auf das Bootsheck. Er lamentierte mit ausladender Handbewegung und tiefer, feierlicher Stimme: „Ah – Venedig!“
Miriam und ich mussten zugleich losbrüllen. Wir lachten hemmungslos, bis uns die Tränen kamen und die Bauchmuskeln wehtaten. Offenbar hatten wir dasselbe Bild im Kopf. Harrison Ford als Indiana Jones, wie er in „Der letzte Kreuzzug“ klatschnass aus dem Kanal klettert und seinen Venedig-Spruch bringt. Woltan hatte diese Parodie herrlich gekonnt dargebracht. Genau das hatte uns gefehlt, um die Stimmung etwas aufzulockern. Sogar Miriam legte mir jetzt ihren Arm um die Schulter. Jeder lachte herzhaft, sogar der Bootsmann, obwohl er nicht wusste, worüber. Nur Istvan weigerte sich mitzumachen.
„Ach komm schon. Gib wenigstens zu, dass es verdammt witzig war“, forderte ich freundschaftlich.
„Es war ganz komisch. Mir ist nur nicht besonders nach Lachen zumute“, gestand er und wirkte fast, aber nur fast, schüchtern auf mich.
„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, erinnerte ich ihn und kitzelte seine Rippen spielerisch, woraufhin seine Mundwinkeln verräterisch zuckten.
„Hey, wir sind in Venedig! Auch wenn ich mir wünschte, dass wir beide aus einem anderen Grund hier wären, sollten wir doch das Beste daraus machen“, schlug ich versöhnlich vor.
„Ich hatte mir schon lange gewünscht, mit dir einmal hierher zu kommen und in Valentins Appartement zu wohnen. Vor allem wollte ich mit dir meine Venedigtour machen. Aber in dieser Vorstellung gab es weder Doktoren noch irgendwelche faustischen Pakte“, meinte er enttäuscht. Sein Blick suchte zuerst den Markusplatz nach Vertrautem ab und forschte dann in meinem Gesicht nach einem ähnlichen Zeichen von Vertrautheit oder Verständnis. Ich wusste nicht, ob er auch fand, wonach er suchte, also musste ich es ihm versichern.
„Ich weiß ja genau, was du meinst“, flüsterte ich in sein Ohr, schmiegte mich enger an ihn, so wie Miriam an Woltan, und wartete darauf, dass unser Boot endlich am Steg anlegen würde.
Istvan half mir aus dem Wassertaxi auszusteigen, als wäre ich leichter als eine Feder, während unsere Reisetaschen auf den Holzsteg gestellt wurden. Woltan bezahlte, worauf der kleine ältere Bootsmann etwas auf Italienisch murmelte, und schon hetzten wir durch die engen, verwinkelten Gassen der Lagunenstadt. Die Männer hatten es dabei so eilig, dass ich noch nicht einmal einen richtigen Blick auf den Dogenpalast werfen konnte. An unzähligen Touristen, Marktständen und winzigen Geschäften vorbei kamen wir an einem unscheinbaren, schmalen Seiteneingang an, der nicht weit vom Canale Grande entfernt lag. Dort befand sich also Valentins Ferienappartement. Die salzige, leicht modrig riechende Luft war überall. Selbst in dieser kleinen Seitengasse. Woltan zückte seinen Schlüssel und wir traten einer nach dem anderen in das dunkle Vorzimmer ein. Hier unten gab es nichts außer dem
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