Wolfsfieber - Band 2
Geruch von Holz und feuchtem Moder und der Treppe nach oben.
Der erste Stock bot ein ganz anderes Bild. Hinter der dun-klen, mit Schnitzereien verzierten Tür lagen drei längliche Zimmer, die alle stilvoll und zeitlos eingerichtet waren, als würden die Räume ständig ihren Besitzer erwarten. Der erste Raum fungierte als Wohnzimmer mit einem großen Bücherregal, cremefarbenen Ledersesseln, dunklen Beistelltischchen und Kohlezeichnungen mit venezianischen Renaissancemo-tiven. Der -nachfolgende Raum diente als geräumiges Schlafzimmer. Und genau, wie man es erwarten würde, waren die Wände mit venezianischem Stoff ausgekleidet, in einem ungewöhnlichen Roségold. Das große Doppelbett und der kleine Steinbalkon, der eigentlich in ein Museum gehörte, hinterließen den bleibendsten Eindruck. Zuletzt bestaunten wir das Bad mit der frei stehenden Wanne und den goldüberzogenen Armaturen. Valentin hatte wieder einmal erlesenen Geschmack bewiesen. Istvan stellte unsere Koffer in diesem Teil des Hauses ab, während Woltan Miriam einen Stock höher führte, wo, wie er mir versicherte, dieselben Räumlichkeiten eingerichtet waren wie hier.
Ich hätte nur allzu gerne die Tür hinter ihnen geschlossen und wäre mit Istvan im Bad verschwunden. Doch dieser verstaute bereits unsere Sachen in den Schränken und Kommoden. Ich half dabei und brachte meine Toilettensachen ins Badezimmer, wo ich krampfhaft versuchte, mir Istvans Körper nicht in dieser wohlgeformten Wanne vorzustellen. Ablenkung sollte mir helfen, darum ging ich zurück ins Schlafzimmer, öffnete die Flügeltür und trat auf den Balkon. Vor mir tat sich eine Wohltat für kranke Augen auf. Man sah, an einem leicht sonnigen Frühlingstag, direkt auf den Kanal. Gondeln und andere Boote zogen ihre Bahnen auf der -Wasserstraße, während Menschen sich zu einem geräuschvollen, leben-digen Strom formten. Alles war einfach … herrlich italienisch. Nein, besser noch: Es war venezianisch. Mit Istvan könnte ich hier den Rest meines Lebens verbringen , schoss es mir feierlich durch den Kopf, bevor ich eine ruhige, bestimmte Stimme hinter mir wahrnahm.
„Wir müssen jetzt gehen, Joe“, ließ er mich wissen.
„Der Flug hatte Verspätung und der Doktor erwartet uns bereits“, erinnerte er mich noch ernster.
Wieso musste Istvan ausgerechnet jetzt anfangen, vernünftig bei der Sache zu sein, wo ich es gerade nicht war.
„Ja, ich weiß“, murmelte ich. Die plötzliche Traurigkeit in meiner Stimme überraschte selbst mich.
„Wenn du doch nicht willst, dann …“, begann er sofort, was ich wiederum unterband.
„Nein, nein. Ich komme schon. Venedig hat mich nur ein wenig abgelenkt“, versicherte ich ihm kleinlaut.
„Ja, es hat diese Wirkung auf einen. Dem kann man sich nur schwer entziehen“, bestätigte er gedankenvoll.
„Na davon kann ich doch ein Lied singen, Liebling“, neckte ich ihn mit leicht erhöhtem Herzschlag, schließlich stand er verdammt nahe bei mir auf diesem winzigen Balkon.
Damit brachte ich, zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit, sein schiefes Grinsen zum Vorschein.
„Darauf komme ich noch zurück“, zog er mich auf und fügte ernster hinzu: „Wenn wir es dann hinter uns haben.“
Ich nickte leicht und nahm mir meine leichte Brokatjacke, die ich extra für Venedig dabeihatte. Istvan musterte mich ein letztes Mal, halb besorgt, halb angetan von meinem Anblick, dann machten wir uns alle zusammen auf dem Weg nach Murano, der Insel des Doktors.
In einem dieser geräuschvollen, überfüllten Vaporetti ließen wir die Hauptinsel von Venedig zurück, hielten kurz an der Begräbnisinsel, wo ich immer eine unerklärliche Gänsehaut bekam, bei dem Gedanken an eine ganze Insel aus Gräbern, und stiegen dann bei der ersten Anlegestelle auf Murano aus. Diese Insel wirkte auf den ersten Blick nicht gerade sehr beeindruckend. Ich wusste zwar, dank Istvans Reiseführer, dass Murano die berühmte Glasbläserinsel war, doch die Bilder auf den Werbeplakaten vermittelten einen verzerrten Eindruck dieses Ortes. Mir kam es eher so vor, als handle es sich hierbei um ein altertümliches Relikt, dessen frühere Bewohner längst ausgebüxt waren. Abgesehen von einigen Touristen, die Glas-waren kauften oder sich die Fabrik ansahen, traf man auf so gut wie keine anderen Menschen. Vielleicht hatte sich der Doktor deshalb für Murano entschieden. Ich musste zugeben, nachdem wir einige Straßen hinter uns hatten, dass es hier doch sehr schöne Bauten gab und
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