Wolfsfieber - Band 2
Mittelalterhandschriften bestaunen. Istvan wusste alles über diese Bibliothek und hielt damit nicht hinter dem Berg. Er erklärte bedächtig, geradezu ehrfürchtig, dass alles mit einer Schenkung von -Petrarca angefangen hatte, „… dem Begründer des Humanismus, dem Vater der Renaissance“, wiederholte er ständig.
„Hier gibt es sogar eine uralte Ilias-Ausgabe. Die muss man gesehen haben!“, meinte er aufgekratzt. Ich hatte mehr Freude an seiner Begeisterung als an den eigentlichen Schätzen der Bib-liothek. Ja, sein Glück ging förmlich auf mich über, als würden wir uns gegenseitig damit infizieren. Liebe ist also ansteckend , urteilte ich, als ich mir dessen bewusst wurde.
Und es hielt an. Den ganzen Tag lang. Nur einmal drohten wir fast vom Weg abzukommen.
Istvan hatte uns ein Restaurant fürs Abendessen ausgesucht und dabei auf alle Klischees verzichtet. Wofür ich ihm dankbar war. Es lag weder in der Nähe des Markusplatzes, noch servierte es völlig überteuerte Gerichte für naive Touristen. Das kleine Lokal in einer Seitengasse wurde noch von einer einheimischen Familie betrieben. Auf karierten Tisch-tüchern, bei natürlichem Kerzenschein stellte der Kellner, ganz ohne -Glacé-Handschuhe, köstliche Fischgerichte, eine Wasserkaraffe und Wein in einem Kelch ab. Schon den ganzen Tag über war alles herrlich normal gewesen. Anfangs hatte ich mir Sorgen gemacht, Istvan könnte mich dazu drängen in eines der Designergeschäfte mit den bekannten italie-nischen Namen zu gehen, um mir einen teuren Aufzug für ein überkandideltes Abendessen zu besorgen. Doch ich hatte, zu -meiner großen Erleichterung, unrecht. Istvan blieb ganz er selbst, so wie ich ihn am meisten liebte, in Jeans und einem leichten T-Shirt. Sogar auf eine Rasur hatte er verzichtet. Diese sandfarbenen Stoppeln luden förmlich dazu ein, sich daran die Wangen zu kratzen. Aber noch riss ich mich zusammen. Auch wenn die Kerze zwischen uns das Flackern seiner Augen gefährlich günstig untermalte.
„Der gewürzte Fisch war einfach fantastisch. Das ganze Restaurant ist fantastisch“, sagte ich und nahm einen Schluck vom Chianti. Nicht mein erster.
„Schön, dass es dir gefällt. Ich wusste, dieses echte Ambiente ist das Richtige für dich. Du passt sehr gut hierher, fällt mir gerade auf“, meinte er nachdenklich und schien mich aufmerksam zu betrachten. Ich begann unbewusst an mir he-rumzuzupfen und zwirbelte meine Haare nervös im Nacken zusammen.
„Nicht“, stieß er unabsichtlich hervor, seine Hand kam über die Tischmitte, bevor sie wieder schnell auf seinem Schoß verschwand. Ich ließ den lockeren Knoten ruckartig los und meine Haare fielen mir wieder über die Schultern.
„Es ist nur … So siehst du aus wie … wie eine Venus“, flüsterte er verschämt. Woraufhin ich sofort die Hitze in meine Wangen strömen fühlte. Ich musste knallrot sein.
„Du übertreibst schamlos. Ich kann nicht einmal annähernd mit einer dieser Schönheiten auf den Gemälden mithalten und das weißt du“, versuchte ich zu beschwichtigen.
„Das liegt wohl im Auge des Betrachters.“ Mehr sagte er nicht mehr dazu. Ich konnte nicht anders, als zu bemerken, dass Liebe wohl irgendwie doch die Sehkraft beeinträchtigen musste. Aber solange das bedeutete, dass Istvan mich liebte, sollte es mir recht sein.
„Wirst du jemals anfangen, mich klar zu sehen?“, dachte ich laut nach, ohne eine Antwort zu erwarten. Doch ich sollte eine bekommen. Eine Antwort, die in der Lage war, dem heutigen Tage eine schlechte Wendung zu geben.
„Hast du Angst davor, dass ich anfangen könnte, dich anders zu sehen, wenn du älter sein wirst als ich? … Das musst du nicht“, erklärte er überzeugt. Seine Selbstsicherheit beunruhigte mich.
„Ja, vielleicht nicht in den ersten Jahren. Vielleicht da noch nicht. Aber was ist mit später? Was, wenn ich aussehe, als wäre ich deine …“ Ich konnte diesen Satz nicht einmal beenden.
„Das ist nur das Äußere, Joe. Du wirst immer noch du sein“, meinte er gelassen. Dass er mich jetzt noch eingehender betrachtete, verschlimmerte meine aufkommende Unruhe.
„Woher willst du wissen, dass es deine Gefühle für mich nicht doch verändert, wenn ich eine fünfundvierzigjährige Frau bin und du aussiehst, als wärst du gerade einmal dreißig?“ Ich konnte ihm einfach nicht glauben, auch wenn ich es gerne wollte. Es schien mir zu abwegig. Geradezu unmöglich.
„ Nichts“, zischte er jetzt eindringlich, kam immer
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