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Wolfsfieber - Band 2

Wolfsfieber - Band 2

Titel: Wolfsfieber - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Adelmann
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spazierten durch die ganze Stadt, Hand in Hand, so wie es für uns sonst nie möglich war. Mit der freien Hand zeigten wir uns abwechselnd, was unsere Aufmerksamkeit erregte. Bei jeder Brücke behaupteten wir, dass diese jetzt aber die letzte sein müsste, fanden dann aber schon die nächste vor und amüsierten uns köstlich darüber. Istvan schien eine ganz neue Seite an sich zu offenbaren. Er lachte ständig, selbst über meine nicht ganz so gelungenen Bemerkungen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass er die Last auf seinen Schultern tatsächlich für einen ganzen Tag vergessen könnte, doch anscheinend waren meine Bedingungen genau das, was seine gequälte Seele brauchte. Ich konnte gar nicht glauben, was ich sah, als er einen runden Platz überquerte, mich an seiner Hand mitzog, um sich an den kreisrunden Steinbrunnen zu setzen, wo er, ganz wie ein verspielter Junge, in das Wasser langte und mich damit bespritzte. Ich tat so, als sei ich deshalb verärgert und schickte ihm einen Schwall Wasser als Vergeltung. Sofort kam er hochgeschossen und begann mich über den ganzen Platz zu jagen, wobei es unmöglich zu sagen war, wer von uns lauter lachte. Natürlich hätte er mich leicht einholen könne, aber das hätte das Spiel unmöglich gemacht, deshalb scheuchte er mich weiter eine Treppe hinunter, bis ich einen winzig schmalen Durchgang erreichte, der vor der strahlenden Sonne schützte. Ich versteckte mich dort im Schatten und wartete darauf, dass Istvan am Eingang auftauchen würde, um ihn dann an seinem Hemdkragen zu mir hinabzuziehen und in diesem venezianischen Versteck ausgiebig zu küssen. Wir verschwanden minutenlang von der Bildfläche. Hier konnte man die Hand vor Augen nicht sehen, aber das war vollkommen egal. Es war vollkommen ausreichend, ihn zu spüren. Sein wilder Atem auf meinem Hals. Seine suchenden Hände in meinem Rücken, die sanft über meine Brüste strichen, raubten mir jegliches Zeitgefühl. Seine brennend heißen Lippen taten fast weh, aber ich wollte auf diese süße Qual nicht verzichten. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und holte ihn noch näher zu mir, so nahe, dass unsere beiden Pulse sich überschlugen. Erst als ein paar kichernde Jugendliche an uns vorbeikamen und unser Treiben bemerkten, ließen wir voneinander ab, um grinsend davonzulaufen. Der Nachmittag gestaltet sich etwas tugendhafter.
    Nachdem wir von einem finster dreinblickenden Aufseher des prächtigen Senatssaales verwiesen worden waren, setzten wir unsere Besichtigungstour durch den Dogenpalast fort. Die ganze Zeit hoffte ich darauf, die Statue des Jünglings wiederzufinden, die mich so sehr an den lesenden Istvan erinnerte, aber ich konnte sie einfach nicht entdecken. Als ich schon dachte, dass ich sie mir nur eingebildet hatte, tauchte sie unerwartet in einem der vielen Durchgänge auf. Das Erste, was mir auffiel, war, dass sie mit Istvan nicht mithalten konnte. Ihr verträumter Blick glich seinem, wenn er in einem Buch las, tatsächlich sehr. Aber abgesehen davon ließ sich keine Ähnlichkeit zwischen den beiden Männern feststellen.
    „Woran denkt er wohl?“, säuselte mir Istvan ins Ohr, während er mich von hinten umarmte. Ich musste mich sehr anstrengen, um nicht nach vorne zu fallen. Seine Ausgelassenheit führte dazu, dass er seine Kraft nicht mehr so zurückhielt.
    „Wir werden es nie erfahren? Vielleicht träumt er ja von einer der venezianischen Kurtisanen“, schlug ich scherzhaft vor.
    „Nein, er sieht nicht lüstern drein. Er ist mehr … versonnen.“
    „Versunken“, korrigierte ich ihn merkwürdig überzeugt.
    „Ja“, befand Istvan und legte dabei betrachtend den Kopf schräg, „du hast recht.“
    „Kannst du jetzt schon Gedanken von Marmorstatuen lesen“, feixt er.
    „Nein, ich kenne nur jemanden, der auch diesen Blick beherrscht“, murmelte ich und ging grinsend weiter.
     
    Der krönende Abschluss von Istvans Venedigtour, ich hätte es mir denken können, war die Nationalbibliothek Marciana. Erpicht darauf, mir seine Lieblingsobjekte zu zeigen, drängte er mich ständig, mich zu beeilen. Die Ausstellungsräume waren typisch venezianisch, man konnte es nicht anders nennen. Auch hier überall die Werke von Renaissancemalern. Aber hier gab es nicht nur humanistische Gemälde, sondern viel ältere Bücher. Bücher, die in anderen Zeiten den Lauf unserer Welt verändert hatten. Hinter dickem Glas durfte man einen Blick auf eine Kopernikusschrift werfen oder seltene

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