Wolfsfieber
denn, er hätte es hierher
mitgebracht. Diese Vorstellung gefiel mir überhaupt nicht.
Panik stieg erneut in mir hoch. Ich versuchte, über meine
Schulter zu sehen. Doch die strengen Fesseln, die er sorgsam
geknotet hatte, und die dumpfen Kopfschmerzen machten
den Versuch zunichte. Außerdem konnte ich in dieser Dun-
kelheit sowieso fast nichts erkennen. Er und die überlege-
nen Augen seines inneren Wolfes waren dabei absichtlich
im Vorteil. Auch hatte er es so eingerichtet, dass neben dem
Stuhl, auf dem er mich festgebunden hatte, ein kleiner Tisch
mit einer Öllampe in Brusthöhe war. Die einzige Lichtquelle
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im Raum. So konnte ich nur das richtig sehen, was er mich
sehen lassen wollte. Die Geräusche hinter mir hatten auf-
gehört. Er musste offenbar gefunden haben, wonach er ge-
sucht hatte, was es auch war. Ein schlechtes Zeichen.
Plötzlich lehnte er sich gegen meinen Rücken und seine
Hände waren blitzschnell von rechts und links an meinen
Rippen vorbeigekommen, um sich ins Licht zu drängen. Da
sah ich es. In der rechten Hand hielt er eine Spritze umklam-
mert. Wollte er mich erneut betäuben? Aber wozu?
„Bisher war dein Verstand ganz brauchbar. Mal sehen, ob
du clever genug bist.“ Wieder drängte er sich an mein Ohr
und ich wurde überwältigt von seinem animalisch beißenden
Geruch. Sofort wurde mir übel und ich musste den Brech-
reiz unterdrücken.
„Wozu das Ratespiel? Bringen wir es hinter uns. Betäub
mich oder vergifte mich, Bastard!“
Jetzt schien er sich köstlich zu amüsieren. Er lachte so
sehr, dass die Spritze in seiner Hand auf und ab zitterte.
„Nein, nein, so leicht mach ich es dir bestimmt nicht. Wo
wäre da der Spaß? Aber so weit daneben liegst du gar nicht.“
Dabei wechselte der Ton seiner Stimme von Belustigung zu
einem eiskalten Unterton.
„Das hier …“, jetzt hielt er mir die Kanüle direkt vor die
Augen. „Das hier ist mein Gift!“ Oh Gott, was hatte er damit
vor? Tausend wirre, abscheuliche Gedanken jagten durch
meinen Kopf. Einer davon ließ mich erstarren. Wollte er
mich gar verwandeln? Mich? Wieso?
Ich würde nicht lange auf die Antwort warten müssen. Er
setzte zu einem langen Vortrag an. Dafür entfernte er sich
extra von meinem Rücken, wofür ich dankbar war. In einer
raschen Bewegung zog er den zweiten Stuhl von der Wand
heran und stellte ihn, mir direkt gegenüber, auf. Er setzte sich
und stützte beide Ellbogen auf die Knie. Mir zugeneigt, und
in sich selbst hineinschmunzelnd, fing er mit seiner Erklä-
rung an, die Spritze dabei immer fest in der rechten Hand.
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„Sieh mal, ich hatte viele Ideen, was dich betraf, aber nur
eine schien mir letztendlich perfekt zu sein, um das in Gang
zu bringen, was ich brauche, um ihn an seinen Platz zu zwin-
gen.“ Er schien seine Manipulations-Deklaration einfach zu
genießen. Jetzt wirkte er auf mich wie ein James-Bond-Bö-
sewicht, der dumm und selbstsicher genug ist, um dem Hel-
den seinen geheimen Plan zu verraten, anstatt ihn einfach
nur durchzuführen. Doch dieses leichtsinnige Verhalten er-
möglichte es dem Helden, genug Zeit dafür zu haben, sich
aus seiner Lage zu befreien. Ob ich auch auf so ein Wunder
hoffen konnte? Nur, das hier war kein James-Bond-Film und
Farkas schlimmer als jeder Filmschurke, den ich je gesehen
hatte. Schließlich waren diese Monster trotz allem nur Men-
schen. Farkas war etwas anderes, etwas Böses, etwas Un-
menschliches. Und damit meinte ich gar nicht so sehr sein
Wolfswesen. Es war etwas abgrundtief Finsteres in ihm.
Er schien zu merken, dass ich ihn irgendwie musterte,
drohte, gedanklich abzuschweifen, abzutauchen in abstruse
Vorstellungen, um meine Situation zu begreifen.
Ein Schutzmechanismus von mir, wie ich vermutete, um
meine „bange“ Realität und Todesgefahr weniger real zu er-
leben. Lächerlich, denn auf Farkas war Verlass. Er hob mich
immer wieder auf mein Angstniveau zurück, zwischen er-
duldeter Panik und angespannter Verzweiflung. Es reichte
schon, dass er sich noch weiter zu mir nach vorne lehnte und
ich nicht zurückweichen konnte, und ich war wieder schlag-
artig gefangen in seiner Droherklärung.
„Es ist eigentlich einfach“, versicherte er, mit gespielt nai-
ver Stimme. Wobei er gleichzeitig sehr geschäftsmäßig tat,
als wäre das hier nichts Persönliches. In diesem Ton fuhr er
fort.
„Ich injiziere dir das Gift. Voilà! Dadurch wirst du dich
verwandeln und bist eine
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