Wolfsfieber
sandfarbenen Stoppeln. Mein Blick heftete
sich auf seinen Mund, der etwas angespannt wirkte. Und
wieder strömte von ihm dieser Honig-Wald-Geruch aus. Jetzt
nur nicht einatmen!
„Hi! Ich hatte noch nicht mit dir gerechnet. Abends heißt
bei mir eigentlich erst ab fünf“, begrüßte ich ihn und ver-
suchte dabei, ein wenig zurückzuweichen.
„Hi! Ich musste schon jetzt kommen. Wenn es dunkel ist,
kann ich es dir nicht mehr zeigen. Wir müssen uns beeilen“,
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erklärte er mir und sah dabei auf mich herunter, ständig mei-
ne Augen fixierend.
„Jetzt bin ich aber neugierig. Wo geht es eigentlich hin?
Brauche ich irgendetwas Bestimmtes dazu?“, fragte ich mit
nervöser Stimme.
Er taxierte meinen Blick noch immer, was meine Unsi-
cherheit ins Unermessliche steigerte. Dann ließen seine grü-
nen Augen endlich von meinen ab und streiften über meine
Kleidung.
„Nein. Das wird gehen. Die Schuhe sehen recht robust
aus. Hast du noch eine Jacke? Es könnte länger dauern und
ich möchte nicht, dass dir kalt wird.“
„Dann hole ich schnell meine Jacke. Warte hier!“, forder-
te ich ihn auf. Er ging zurück auf die Terrasse, um dort auf
mich zu warten. Er selbst trug nur ein weißes Hemd, ohne
etwas darunter.
Diesmal ging ich langsam und mit vorsichtigen Schritten
in die Küche zurück und schnappte mir die zurechtgeleg-
te Lederjacke. Auf meinem Rückweg schloss ich noch das
Haus ab und steckte den Schlüssel in meine Jeanstasche.
Wieder im Wohnzimmer angelangt, tat ich den ersten
Schritt auf das Parkett und versuchte diesmal, besonders lei-
se zu sein. Es war zwecklos. Schon als meine Schuhspitze
auf die erste Diele trat, bemerkte ich eine rasche Seitwärts-
drehung seines Kopfes. Er hatte es gehört. Wie eine Katze,
die sofort bereit war davonzulaufen, wenn sie ein verdäch-
tiges Geräusch in der Ferne vernahm.
Wieder drehte er sich zu mir um. Ich ging hinaus zu ihm
auf die Terrasse und zog dabei die Glastür hinter mir fest
zu, damit sie sich von selbst verschloss. Die Jacke nahm ich
von meinem Unterarm und war gerade dabei, sie mir überzu-
streifen, als ich bemerkte, dass er an mich herangetreten war,
um meine Haare hochzuhalten, damit sie mir beim Anziehen
nicht im Weg waren. Mein Haar zwischen seinen Händen.
Ein überwältigender Gedanke.
„Danke“, sagte ich mit schwacher, aufgewühlter Stimme.
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„Gern geschehen“, antwortete er höflich und ließ meine
Haare sanft über meinen Rücken fallen. Mir fiel auf, dass
dabei sein Blick etwas zu lange auf meinen Haarspitzen ver-
weilte, was meine Aufregung noch weiter steigerte.
Wieder einmal breitete dieses unangenehme Schweigen
zwischen uns aus, ausgelöst von einem unbedachten Blick
oder einer impulsiven Geste. So kam es, dass wir schweigend
durch meinen Garten gingen und dabei stur auf den Boden
sahen, als wären wir rein zufällig auf demselben Weg und
nicht, als hätten wir uns zu einer ganz besonderen Ausspra-
che verabredet.
Ich durchbrach diese Schweigsamkeit zwischen uns mit
einer Frage, die mir relativ harmlos schien.
„Werden wir dorthin fahren? Wir könnten mein Auto neh-
men“, schlug ich Istvan vor.
„Ja, wir fahren dorthin. Aber dein Auto wird uns dort
nicht hinbringen. Eigentlich fahre ich ja nicht viel. Ich laufe
eher. Nicht dass ich etwas gegen deine Fahrkünste habe,
doch ich ziehe meinen Wagen vor!“, meinte er und hatte
dabei einen Unterton in der Samtstimme, der schwer ein-
zuordnen war.
Doch als ich den schwarzen Camaro am Ende der Straße
sah, wusste ich genau, was seine Andeutung mir sagen woll-
te. Auf meiner staubigen Straße stand ein kohlenschwarzer,
glänzender Camaro, wie ich ihn aus den Filmen kannte, die
mein Bruder ständig anschleppte. Ein umwerfender Anblick,
wie ich zugeben musste.
„Ein Chevrolet Camaro 1969. Mein absolutes Lieblings-
modell. Das einzige Auto, das ich je unbedingt haben musste.
Das einzige Auto, das ich gerne fahre“, verkündete er stolz.
„Eines ist klar. Mein Bruder würde ausflippen, könnte er
deinen Camaro sehen“, stieß ich erstaunt über das Sammler-
modell hervor.
Ich konnte ihn gut verstehen. Das Auto war einfach atem-
beraubend. Ein breiter, silberner Kühlergrill und auf Hoch-
glanz polierter Lack stachen einem sofort ins Auge. Auffällig
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waren auch die getönten Scheiben. Wie konnte man nur so
einen coolen Wagen fahren und dann so gut wie keine Rock-
Alben in seiner Sammlung haben?
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