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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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keine Bilder
    von euch dabei. Aber ich habe die nicht verwendeten Bilder
    in einem eigenen Karton, den kannst du gerne durchsehen,
    wenn du willst“, bot er mir an und blinzelte mir dabei ein
    paar Mal zu. Er fürchtete wohl, ich könnte gekränkt sein, da
    unser Beitrag so klein ausgefallen war.
    Ich versicherte ihm, dass ich deshalb keinerlei Groll
    gegen ihn hege.
    Er brachte mir die Kiste mit den Fotos. Mit schwarzem
    Filzstift hatte er „Hodas-Beitrag“ daraufgeschrieben.
    Ich blätterte durch die fünfzig Fotos und wie durch ein
    Wunder fand ich schon nach Kurzem, was ich gehofft hatte,
    gar nicht erst zu entdecken.
    Ich steckte das Foto in meine Umhängetasche, bedank-
    te mich bei Hans und hatte es verdammt eilig, zu Istvan zu
    kommen.
    Um Punkt drei Uhr kam ich vor seinem Haus an. Es war
    genau in dem Moment, in dem die Kirchenglocken zu läuten
    begannen. Laut und hell bimmelten sie. Istvan hasste diesen
    Lärm. Er konnte dann nichts anderes hören. Das überlaute
    Dröhnen der Kirchenglocken überlagerte alle anderen Ge-
    räusche. Istvan sagte, in dieser Minute wäre es so, als sei er
    vorübergehend blind. Deshalb hörte er mich auch nicht, wie
    sonst immer, vorab kommen. Ich stürzte auf den Balkon. Die
    Tür war unverschlossen. Ich hechtete ins Wohnzimmer. Dort
    war er nicht. Dann ging ich sofort in Richtung Schlafzimmer.
    Die Glocken bimmelten schon mit dem letzten Schwung
    und wurden leiser. Als ich vor dem Zimmer ankam, sah ich
    Istvan vor dem Schreibtisch sitzen. Völlig erschrocken zuckte
    er zusammen, als er mich in der Tür stehen sah. Er schrieb
    gerade in einem schwarzen Buch, das er just in dem Augen-
    blick, als er sich meiner Anwesenheit bewusst wurde, in der
    Schreibtischschublade verschwinden ließ. Er setzte sich in
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    einer einzigen, fließenden Bewegung auf den Schreibtisch,
    die Schublade verdeckend, und machte einen völlig ertapp-
    ten Eindruck. Sein ganzes Verhalten war verdächtig. Er lä-
    chelte mich nicht an, wie er es sonst tat, sondern legte die
    Stirn in Falten. Was stand bloß in diesem Notizbuch, das ich
    auf keinen Fall sehen oder gar lesen sollte? Hatte er bemerkt,
    dass ich es bemerkt hatte? Ich war mir nicht sicher.
    „Was ist los, wieso stürzt du hier so herein? Ist sonst nicht
    deine Art“, fragte er dabei atemlos, noch immer mit besorgter
    Miene.
    Ich tigerte aufgeregt von einer Seite zur anderen und
    wollte meine vorbereitete Rede herunterrattern. Doch leider
    wurde daraus ein unzusammenhängendes Gestammel, aus-
    gelöst von dem unerwarteten, verdächtigen Anblick, der sich
    mir ins Gedächtnis brannte.
    „Ich habe heute eine Fotografie gestohlen. Das heißt,
    eigentlich nicht. Nicht gestohlen. Ich habe heute von der
    Foto-Ausstellung gelesen. Sie zeigt die Gemeinden im Wan-
    del der Zeit, im Zeitraum von hundert Jahren.“
    Jetzt begriff er. Istvan richtete sich auf. Er konnte mei-
    ne Aufregung nun verstehen. Ich sprach weiter, noch immer
    aus der Puste, meine Worte wild und schnell vor mich hin-
    sagend.
    „Es gab auch Bilder von St. Hodas aus deiner Zeit. Ich
    habe den Kurator überredet, sie durchsehen zu können. Wie,
    ist egal. Aber dabei habe ich es entdeckt. Eigentlich hatte
    ich gehofft, gar nichts zu finden, aber das hier ist gut … Gut,
    dass ich es gefunden habe. Es gab ein Foto, ein Foto von dir
    und … deiner Mutter!“, stöhnte ich, erschrocken über mei-
    ne eigenen Worte, hervor. Er schien zur Statue zu erstarren.
    Damit hatte er nie im Leben gerechnet. Der Schock traf ihn
    ganz unvorbereitet.
    Er hatte seine Mutter, oder auch nur ein Foto seiner Mut-
    ter, seit über 75 Jahren nicht gesehen.
    Ich zog das Bild, das ich entwendet hatte, aus der Tasche
    und reichte es ihm.
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    Er nahm es in die Hand. Ich stand bewegungslos vor ihm,
    noch immer schwer atmend. Ich glaube, zuerst erkannte er
    sich gar nicht. Es war immerhin ein Foto aus dem Jahre 1934
    und zeigte einen vierzehnjährigen Istvan im vergilbten Sepia.
    Das Foto war ziemlich zerschlissen, es musste das Original
    sein. In der Mitte des Bildes stand der junge Istvan mit einem
    Korb voller Mais in der Hand, neben ihm seine Mutter Maria,
    die als Erntehelferin einen Erntekorb umgeschnallt hatte und
    leicht verschwitzt in die Kamera lächelte, ganz sanft. Der gü-
    tige Zug um den Mund, den ich von Istvan kannte, war auch
    in ihrem Gesicht zu entdecken. Auch die lange Form seiner
    Brauen hatte er von ihr. Die beiden sahen sich in vielen Din-
    gen sehr ähnlich. Maria war eine

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