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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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etwa
    auch eine schlaflose Nacht hinter sich? Würde ich das hier
    bald bitter bereuen? Ich setzte mich jetzt vor den Schreib-
    tisch. Die Schublade öffnete ich mithilfe des Schlüssels, der
    noch im Schloss steckte. Es war das erste Mal, dass ich mich
    selbst hinter den alten Sekretär setzte. Sonst war das immer
    Istvans Platz. So hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, als er
    mir gedankt und seinen grünen Blick geschenkt hatte.
    Ich bekam plötzlich ein ganz schlechtes Gefühl. Die Si-
    tuation erinnerte mich an die Geschichte von Pandora und
    der Büchse. Die alte Sage über das Mädchen, das eine Kiste
    anvertraut bekam, die es nie öffnen dürfte. Sie konnte, wie
    174

    ich, ihre Neugierde nicht zügeln und schloss die Kiste auf.
    Mit dieser unbedachten Tat brachte Pandora das Übel der
    ganzen Welt über die Menschheit und wurde damit zum im-
    merwährenden Warnsymbol für Menschen, die ihre Verspre-
    chen brachen und aus Selbstsucht eine Katastrophe herauf-
    beschworen. War das hier mein persönlicher Vertrauenstest,
    den ich drauf und dran war, nicht zu bestehen? Ich wollte
    gerade wieder aufstehen, als mir einfiel, wie die Geschichte
    um Pandora letzten Endes ausging:
    Pandora schloss in ihrer Panik die Büchse sofort wieder
    und verhinderte damit, dass der Bodeninhalt der Box austre-
    ten konnte. Mit ihrem Zaudern hatte Pandora der Hoffnung
    selbst den Weg versperrt, denn sie hatte man zusammen mit
    dem Übel aufbewahrt.
    Das genügte mir. Ich würde diesen Wahnsinn bis zum Ende
    durchziehen und hoffte auf das Beste. Auf die Wahrheit.
    Ich öffnete die Lade und sah sofort das schwarze Buch.
    Es war nicht das einzige Notizbuch, das sich in dem Schub-
    fach befand. Da gab es noch ein paar rote und blaue Hefte.
    Doch meine Augen fixierten das schwarze, dicke Notizbuch
    in der Mitte, das sich mir ohne Gegenwehr präsentierte.
    Kein Schloss, wie es ein Tagebuch gehabt hätte, war ange-
    bracht. Lediglich ein schwarzes Band umspannte die Seiten
    und hielt das gespreizte Buch mit dem schwarzen Lederein-
    band zusammen. Ich atmete deutlich ein und aus, um den
    Kopf freizukriegen. Meine Haare fielen mir vor das Gesicht.
    Ich strich sie unordentlich hinter die Ohren und nahm das
    Buch aus der Lade. Seine Schwere kam mir unnatürlich vor.
    Es lag vermutlich an meinem belasteten Gewissen, das ich
    jetzt versuchte zu verdrängen. Ich strich das Band vom Le-
    der und öffnete es, die ersten Seiten enthüllend. Auf den
    blass linierten Zeilen standen Istvans Worte. Ich erkannte
    die schmale, sehr schräg gehaltene, Schrift sofort. Es gab
    keinen Titel oder irgendeine Einleitung. Auf der ersten Sei-
    te stand lediglich „1935“ geschrieben. Danach begann sein
    erster Eintrag:
    175

    „Herbst. Ich war gerade fünfzehn, als mein Leben für
    immer endete. Ich starb. Alles, was ich war, was mich aus-
    machte, schien mir in jenem Spätherbst 1935 genommen zu
    werden. Meine Mutter, meine Menschlichkeit, mein Zuhau-
    se, meine kindliche Unschuld. Und ich erinnere mich noch
    nicht mal daran …“
    Ich wollte diesen Satz, völlig gefangen in seinen Ausfüh-
    rungen, gerade weiterlesen, da fühlte ich die Anwesenheit
    eines anderen Menschen im Raum. Ich musste mich nicht
    umdrehen, um zu wissen, wessen Blick sich mir in den Rü-
    cken bohrte.
    „Ich bin beeindruckt. Du hast ganze zwei Tage durchge-
    halten. Ich hatte eigentlich früher mit dir gerechnet“, sagte
    Istvans tiefe Stimme, mit einem bittersüßen Unterton, den
    ich noch nie gehört hatte.
    Ich drehte mich sichtlich eingeschüchtert um. Er stand
    da, mitten im Raum, als hätte er mich erwartet und nicht, als
    wäre er gerade erst nach Hause gekommen. Er trug weder
    eine Jacke, zur Tarnung natürlich, noch irgendwelche Bü-
    cher wie sonst, wenn er aus der Bibliothek kam.
    Sein Blick war leer, fast finster und doch schien er nicht
    böse zu sein, nicht böse genug, wenn man bedachte, wobei
    er mich gerade ertappt hatte.
    Ich drehte mich blitzschnell wieder um und beförder-
    te das Notizbuch mit einem Ruck wieder in sein Versteck
    zurück, als könnte das alles ungeschehen machen. Sofort
    begann ich, mich zu entschuldigen und um Verzeihung zu
    bitten.
    „Istvan, es tut mir so leid. Ich weiß gar nicht, was ich
    sagen soll. Das ist unverzeihlich. Wenn ich du wäre, würde
    ich mich sofort rausschmeißen. Du hättest jedes Recht dazu.
    Tut mir leid. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.
    Bitte, verzeih mir!“, flehte ich mit schwacher, zittriger Stim-
    me.

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