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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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hier allein zurücklassen? Wieso erzählst du es mir nicht
    selbst, hier und jetzt?“, entgegnete ich ihm, unempfänglich
    für seinen Vorschlag.
    „Wäre ich fähig, es dir direkt ins Gesicht zu sagen, hätte
    ich es vermutlich schon getan. Aber ich weiß nicht, wie. So
    ist es leichter. Für mich. Verstehst du? Du gehst jetzt einfach
    nach Hause, nimmst das Buch aus der Tasche und liest alles,
    was du lesen willst, und dann kommst du wieder, ja?“
    Seine Stimme war nun die eines kleinen, traurigen Jun-
    gen, der bei einer Lüge ertappt wird und jetzt, schon erleich-
    tert, auf seine Strafe wartet.
    „Na gut, wenn du darauf bestehst“, erwiderte ich irritiert
    und ahnungslos.
    Ich stand auf, zog mir meine Turnschuhe an und schob
    das Buch in die Innentasche meines langen Mantels.
    „Dann geh ich jetzt“, sagte ich unsicher. „Wir sehen uns
    dann ja, später“, fügte ich noch hinzu. Er starrte nur starr
    und leer an die Wand. Als Abschied hauchte er nur ein ge-
    dämpftes „Ja, vielleicht“.
    Mit einem mulmigen Gefühl machte ich mich auf nach
    Hause. Ich hasste es, Istvan in diesem Zustand allein zurück-
    zulassen. Aber er hatte es von mir verlangt, also blieb mir
    keine andere Wahl.
    Zu Hause angekommen, zog ich schnell meinen Mantel und
    die Schuhe aus. Ich kramte das Buch aus meiner Tasche und
    ging damit direkt in mein Schlafzimmer. Ich hatte so ein Ge-
    fühl, dass ich besser sitzen oder liegen sollte, wenn ich be-
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    gann zu lesen. Ich öffnete das schwarze Lederbuch und be-
    gann dort weiterzulesen, wo ich aufgehört hatte, am Anfang.
    „Alles, was ich war, was mich ausmachte, schien mir in
    jenem Spätherbst 1935 genommen zu werden. Meine Mut-
    ter, meine Menschlichkeit, mein Zuhause, meine kindliche
    Unschuld. Und ich erinnere mich noch nicht mal daran, wie
    es passiert ist. Ich hing meinen dunklen Gedanken nach und
    wollte gerade einen dicken Ast vom Baum abschlagen, da
    hörte ich dieses unheimliche Geräusch hinter mir. Ehe ich
    auch nur erahnen konnte, was sich da hinter mir befand,
    spürte ich schon den scharfen Schmerz im Nacken. Ein
    Biss, war das Letzte, was ich dachte, bevor ich bewusstlos
    wurde.“
    Er hatte es ziemlich genauso geschrieben, wie er es mir
    erzählt hatte. Das war es also nicht, was er mir nicht sagen
    konnte. Ich hatte ohnehin die Vorahnung, dass es eher et-
    was mit uns, mit Istvan und mir, zu tun hatte als mit seinem
    Wolfsleben. Vielleicht sollte ich zuerst die Stellen im Buch
    lesen, die etwas Licht ins Dunkel seiner Andeutungen brin-
    gen könnten. Also suchte ich gezielt nach Eintragungen, in
    denen ich, in denen wir vorkamen. Sie mussten sich gegen
    Ende des Buches befinden. Ich fand den Eintrag über die
    Büchereieröffnung, unsere erste Begegnung. Ich begann zu
    lesen.
    „Heute eröffnete ich die Bibliothek. Ich hatte keine Ah-
    nung, dass ich sie an diesem Tag wiedersehen würde. Wer
    hätte auch ahnen können, dass ausgerechnet sie der Lokal-
    reporter war, von dem der Bürgermeister gesprochen hatte.
    Er erwähnte einen gewissen Joe und ich erwartete deshalb
    einen Mann und nicht sie.“
    „Wiedersehen“, wiederholte ich laut und las dieselben
    Zeilen immer wieder und wieder. Wie war das gemeint?
    Kannte er mich tatsächlich schon vor diesem Tag? War er
    mir deshalb von Anfang an so vertraut, wollte er mir diese
    Tatsache verschweigen, aber wieso? Ich las weiter und hoffte
    die Antwort zwischen Istvans Zeilen zu finden.
    180

    „Es war schwer so zu tun, als hätte ich sie noch nie zuvor
    gesehen. Ich war nicht besonders geschickt darin, es zu ver-
    bergen. Als ich auf sie zuging, sie erkannte, da sah ich sie
    immer so vor mir, wie ich sie zum ersten Mal gesehen hatte,
    halb nackt, nur mit BH und Slip bekleidet, die Haare offen
    und wild. Ich konnte dieses Bild nicht aus dem Kopf krie-
    gen und musste mit aller Kraft ein Grinsen unterdrücken.
    Ich glaube, sie hat irgendetwas bemerkt. Ich musste mich
    die ganze Zeit zusammennehmen, um nicht doch etwas zu
    sagen, das mich verraten hätte. Leider machte ich zu oft den
    Fehler, zu nahe bei ihr zu stehen. Sie wich aber nie wirklich
    vor mir zurück, das spornte mich noch mehr an, und als sie
    mir dann noch anbot, mich zu begleiten, wo wir ganz allein
    sein würden, war das – einfach nur umwerfend. An diesem
    Tag hatte ich sie zwar nicht das erste Mal gesehen, aber an
    diesem Tag gab es dennoch viele andere erste Male. Es war
    das erste Mal, dass ich ihre Stimme gehört hatte, hell und
    klar und

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