Wolfsfieber
leicht tief, wie ich es an Frauen sehr attraktiv finde.
Es war auch das allererste Mal, dass ich sie berührte, als
Frau und nicht als …“
An dieser Stelle hatte er abgebrochen. Wieso schrieb er
diesen Satz nicht zu Ende? Wann hätte er mich schon ein-
mal vor diesem Tag berührt und wieso war es das erste Mal
als Frau? Ich war komplett verwirrt. Wann waren wir uns tat-
sächlich erstmals begegnet? Ich suchte nach weiteren Hin-
weisen.
„Später dann an diesem Abend dachte ich über ihr Ge-
sicht nach und die Attribute ihrer Weiblichkeit, die ich an
keiner anderen Frau derart faszinierend gefunden hätte.
Es war mir in jener Nacht, der Nacht des ersten Wieder-
sehens nicht gleich aufgefallen. Erst heute, bei Tageslicht,
konnte ich die Farben ihres Wesens und ihrer Weiblichkeit
in Muße betrachten. Alles an ihr erinnerte mich an einen
Pfirsich, abgesehen von den blauen Augen. Besonders die
helle, zarte Haut mit dem leichten Pfirsich-Ton und die
rosigen Wangen verstärkten meinen Eindruck. Sogar der
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korallenfarbene Mund, den man hinter den geschminkten
Lippen durchschimmern sah, trat in dem Pfirsichspektrum
ihres Wesens hinzu. Am beeindruckendsten fand ich aber
ihr Haar, das jeder andere Mann wohl als goldblond oder
mittelblond beschreiben würde und damit nur die Oberflä-
che betrachtete. Nein, ihr langes, mähnenhaftes Haar war
zwar goldblond, doch in einem bestimmten Licht enthüllte
es sein Geheimnis. Vom Licht beschienen, zeigte sich ein
Rosé-Gold-Ton, der sehr selten ist und den ich noch nie
an einer Frau wahrgenommen hatte. Es erinnerte mich an
Schmuck aus Rosé-Gold, der mit anderen Goldschattierun-
gen vermischt worden war. In der deutschen Sprache gibt
es dafür keine entsprechende Bezeichnung. Das englische
„Strawberrry Blond“ kommt dem annähernd nahe. Es meint
damit Blondinen, die einen Rotstich aufwiesen. Der Gedan-
ke gefiel mir sehr, dass außer mir vermutlich noch nie ein
Mann das an ihr bemerkt hatte.“
Während ich seine Beschreibung von mir las, hatte ich
unbewusst angefangen, mit einer Haarsträhne zu spielen.
Ich konnte es kaum glauben. In seinen Augen war ich tat-
sächlich schön und interessant. Doch wann war diese Nacht
des ersten Wiedersehens? War er mir als Wolf bereits zuvor
begegnet, konnte das sein? Ich blätterte zurück, weg von sei-
ner umfassenden Beschreibung von mir. Doch wo würde ich
es finden? Ich suchte nach seiner Rückkehr nach St. Hodas.
Nach ein paar Fehlversuchen fand ich den passenden Ein-
trag. Mit seiner, mir nun bereits bestens vertraut geworde-
nen Handschrift erzählte er von seiner Ankunft.
„Es war merkwürdig, wieder zu Hause zu sein, nach all
der langen Zeit. Ich konnte nur hoffen, dass dieser Versuch
nach Hause zurückzukehren, glimpflicher verlief als der letz-
te. Die Umzugsfirma hatte Lieferschwierigkeiten und so kam
es, dass meine Ankunft und der Beginn des Vollmondzyklus
nur einen Tag auseinanderlagen. Schlechtes Timing. Ich hat-
te gerade genug Zeit, um alle Kisten zu verstauen und das
Bett aufzustellen, bevor meine übliche Pein sich ankündigte.
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Zum Glück war ich eine Woche zuvor, zur Besichtigung mei-
nes neuen ‚Reviers‘, bereits dazu gekommen, die Lagerplätze
einzurichten, die ich ja schon gut kannte. Ich beschloss in
der ersten Nacht, nicht zu weit vom Südlagerplatz entfernt
zu streunen, und drehte Runden um das ganze Dorf und die
Südhänge des Günser Gebirges. Die Nacht war sehr ruhig
und friedlich. In meiner Wolfsform war ich diesem Leben
nicht ganz so abgeneigt, wie ich es vehement als Mensch
war. Als Wolf kann man nicht umhin, die grenzenlose Frei-
heit zu bemerken, die einen anzieht wie das Mondlicht
selbst. Und lässt man seinen Instinkten auch nur kurz freien
Lauf, erkennt man sofort, dass man zum Rennen durch den
Wald geschaffen wurde, dass es die eigentliche Natur dieses
Wesens ist, zu dem ich seit über 75 Jahren werde. An jenem
Abend und in jener Nacht kämpfte ich nicht wie sonst ver-
bissen gegen meine Natur an und das machte mich etwas
waghalsig. Ich begann mich sogar nahe dem Waldrand auf-
zuhalten. Es war kurz vor Mitternacht und in keinem der
Häuser schien noch Licht, außer in dem etwas abgelegenen
Haus am Nordostrand des Dorfes. In diesem Haus brannte
noch Licht. Ein paar Kerzen und kleine Lampen strahlten in
die dunkle Nacht. Ich näherte mich dem Haus, das so ge-
legen war, dass zwei Seiten dem Wald zugewandt waren
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