Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
Vom Netzwerk:
irgendeine Hand nach mir griff,
    dann wieder Dunkelheit. Ich spürte den kalten Luftzug auf
    meinen nassen Haaren und den Druck von Händen, die mei-
    nen Brustkorb pressten, und mit einem säuerlichen Schwall
    trieben sie mir das Wasser aus dem Körper und ich atmete
    187

    wieder. Einen Mann, der mich hielt, eine warme Umarmung
    fühlte ich. Ich sah jedoch nichts. Ich erinnere mich an das
    sichere Gefühl, das ich in den Armen des Fremden hatte.
    Dann fühlte ich das Loslassen. Ich hatte noch immer die Au-
    gen geschlossen. Danach hörte ich die angsterfüllten Schreie
    meiner Eltern. Wir hatten nie erfahren, wer mich damals ge-
    rettet hatte. Die Lokalzeitung schrieb dazu: „Unbekannter
    Samariter rettet Kind vor dem Ertrinken.“ Ich hatte das alles
    schon fast vergessen. Ich erinnerte mich nur daran, wenn
    ich in der Nähe eines Sees war oder wenn ich wieder ein-
    mal jemandem gestehen musste, dass ich nicht schwimmen
    konnte. Istvan war also mein geheimnisvoller Retter aus der
    Kindheit und gleichzeitig war er der erste Mann, in den ich
    mich je verliebt hatte. Die Dinge konnten also tatsächlich
    noch merkwürdiger werden. Wieso wollte er um jeden Preis
    verhindern, dass ich erfuhr, dass er mir einmal das Leben
    gerettet hatte, vor so vielen Jahren? Hatte er etwa Angst, ich
    könnte ihm gegenüber anders empfinden, wüsste ich davon?
    Ich musste die Geschichte aus seiner Sicht lesen. Ich suchte
    nach Beiträgen aus dem Jahr 1989. Es gab ein paar davon.
    Meistens waren es nur zutiefst deprimierende Eindrücke,
    die die Welt auf Istvan ausübte, und Weltschmerz und Über-
    druss strömten aus jeder Zeile. Dann fand ich es endlich.
    „Frühsommer 1989. Ich war früher nach Hause ge-
    kommen als geplant. Ich hatte es satt. Ich hatte alles satt.
    1988 war schon zu viel gewesen. Ich konnte kein Jahr län-
    ger so weitermachen. Der Plan war, zu Hause auf den Tod
    zu warten. Ich würde mir ein Blockhaus in den Wäldern er-
    richten und dann auf das Ende warten, auch wenn es noch
    hundert Jahre oder länger dauerte. Ich zog mich vom Leben
    zurück. Es brachte doch nur immer Enttäuschung und ver-
    wehrte mir jede Erlösung von diesem Leben, in dem ich ge-
    fangen war. Ich gab jede Hoffnung auf. Ich glaubte nicht
    mehr an Heilung oder an irgendetwas Gutes, das die Welt
    vielleicht für mich bereithielt. Es würde zu Ende gehen. Es
    war lediglich eine Frage der Zeit.“
    188

    Es tat mir in der Seele weh, Istvan so verzweifelt und
    hoffnungslos zu wissen. Ich musste mich regelrecht zwingen
    weiterzulesen.
    „Gott hat mich wiedergefunden und ich, ich habe die
    Hoffnung wiedergefunden. Heute ist ein Wunder gesche-
    hen. Ich habe ein Mädchen gerettet. Ich habe einen Platz in
    dieser Welt. Ich kann etwas bewirken, ich kann gut sein. Ich
    werde diesem kleinen Mädchen für immer dankbar sein.
    Ich traf auf das Kind ganz zufällig. Ich war gerade zu Fuß
    auf dem Weg in eines meiner Basislager, um Vorräte nach-
    zufüllen, da hörte ich die erstickten Schreie der Kleinen
    unter Wasser. Ihr kleiner, hübscher Herzschlag wurde im-
    mer leiser und schwächer. Ich rannte aus dem Wald hinter
    dem Rohnitzer-Stausee und sprang in das Wasser. Niemand
    schien den Todeskampf des Mädchens bemerkt zu haben.
    Ich konnte, dank meines geschärften Blicks, die Konturen
    ihres kleinen Körpers im Wasser ausmachen und schwamm
    auf sie zu. Ihren winzigen Arm mit den schmalen Handge-
    lenken erreichte ich zuerst. Ich zog sie an die Oberfläche,
    doch ihren Puls konnte ich kaum noch hören. Ich brachte
    sie so schnell ich konnte an den Rand des Wassers. Ich trug
    ihren bewegungslosen Körper vom Wasser weg und legte sie
    auf das feuchte Gras. Ich musste ihre Lungen vom Wasser
    befreien und versuchte, es aus ihrem Brustkorb zu pressen.
    Ich hatte Angst, zu fest zu pressen und ihr womöglich die
    Rippen zu brechen. Doch schon beim dritten Mal spuckte
    sie das Wasser aus und hustete heftig. Sie öffnete nicht ihre
    Augen. Ihre kleinen Fäuste hielten sich an meinem nassen
    Hemd fest. Ich versicherte ihr ständig, dass alles wieder gut
    werden würde, dass sie jetzt wieder in Sicherheit wäre. Das
    kleine, blonde Mädchen schien mir zu glauben, denn sie
    schlief in meinen Armen erschöpft ein. Ich wollte ihr gera-
    de meine Jacke umlegen, da hörte ich, wie schnelle Schritte
    auf der anderen Seite des großen Stausees die Treppe rauf-
    rannten. Ein Mann schrie: ‚Verdammt, du solltest doch auf
    deine Cousine aufpassen und nicht auf der Straße

Weitere Kostenlose Bücher