Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
erschießen.“
„Von der Presse ganz zu schweigen.“
Ich warf ihm einen schnellen Blick zu. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, aber er hatte recht. Man stelle sich nur mal vo r – Berichte über ein tollwütiges Wolfsrudel, das hier im nördlichen Hinterland Menschen auffraß. Was für ein Aufmacher!
„Jetzt verstehst du meine Geheimniskrämerei“, sagte ich. „Aber wir kümmern uns um das Problem.“
„Mit wir meinst du dich und den Sheriff?“
„Ja.“
Wir kümmerten uns tatsächlich um das Problem. Nur eben nicht um dieses Problem.
„Du wirst es doch keinem erzählen?“
„Wem sollte ich es denn erzählen?“
Ich sah zur Bar, dann wieder zu ihm.
Er schnaubte verächtlich. „Ich erzähle denen gar nichts. Ich höre zu.“
„Gut. Und danke.“
Er bewegte sich auf mich zu, und ich trat die Flucht an, bevor er mich wieder küssen konnte. Noch so ein Kuss wie einer von denen zuvor, und ich würde vielleicht alles vergessen, woran ich mich besser erinnern sollte.
Ich lief die Treppe hoch und in mein Apartment, dann warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Sieben Uhr morgens. Ich musste gegen zwölf wieder bei Jessie sein, damit wir uns die Berichte aus Quantico zum Thema Serienkiller anschauen konnten. Ich konnte es kaum erwarten.
Ich nahm eine ausgiebige, heiße Dusche. Als ich aus dem Bad kam, roch ich nach Zitrusfrüchten und Honig statt nach Erde und Wind. Meine Muskeln waren entspannt, mein Kopf benommen. Ich ging ins Bett, schlief sofort ein und hatte zum ersten Mal in meinem Leben bei Tageslicht einen Albtraum.
In meinem Traum sagte der weiße Wolf mit Hectors Stimme: „ Querida , was hast du erwartet?“
Er hatte mich immer querida genannt, auch wenn das, was wir getan hatten, nicht das Geringste mit Liebe zu tun gehabt hatte. Zumindest nicht für mich.
Ich weiche mit ausgestreckten Händen zurück, aber er kommt mit schwerem Gang und furchterregend gesträubten Nackenhaaren immer näher; das leise Knurren unter seinen Worten lässt mich erschaudern.
„Ich musste sie loswerden, damit du für immer mir gehörst.“
„Nein.“
Ich höre mich selbst im Schlaf sprechen; das Wort hallt in meinem Traum wider. Hector lächelt, grinst, hechelt. Seine Zähne sind so rot wie seine Zunge.
Gott, hilf mir, ihm zu entkommen .
Ich wirble herum und renne die Treppe des Zuhauses meiner Kindheit hoch. Aber meine Kindheit ist vorbe i – von diesem Moment an.
„Meine“, knurrt Hector den anderen entgegen und setzt damit ihrer wilden Hetzjagd auf mich ein abruptes Ende.
Hector ist der Alphawol f – daran gibt es keinen Zweifel. Genau wie es keinen Zweifel daran gibt, dass er mich erwischen wird. Damals wie jetzt. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Ich schließe mich in meinem Zimmer ein, grapsche hektisch nach dem Telefon, warte auf das Freizeichen und höre nichts. Mein Handy ist unten, in meiner Handtasche, und damit im Moment für mich völlig nutzlos.
IchrennezumFenster,abernochbevorichesaufreißenundumHilferufenkann,splittertdieTürnachinnen,underisthier.
Ich will ihn nicht in meiner Nähe haben, mit dem Blut meiner Familie noch immer auf seinem Fell und in seinem Maul. Ich schaue mich nach einer Waffe, nach irgendetwas um, aber da ist nichts, in dieser duftigen, rosa-weißen Zufluchtsstätte meiner Kindheit.
„Du wirst niemals sterben, querida . Wir werden für immer zusammen sein. Es wird dir gefallen. Das verspreche ich.“
Ich starre ihm in die Augen, während ich daran denke, wie es zu dem hier gekommen ist.
Der Tod meiner Familie, Jimmys Tod war meine Schuld. Weil ich nicht hatte Nein sagen können, als Hector mich berührte.
In meinem Schlaf wimmere ich und werfe mich hin und her. Ich hatte mich auch bei Damien nicht beherrschen können. Aber das ist nicht dasselbe. Ich bin nicht mit einem anderen verlobt. Es geht hier nicht um ein letztes Techtelmechtel. Ich flirte nicht mit dem Teufel. Damien ist nur ein Mann. Hector war eine Bestie.
Ich weich e – so weit es geh t – in das Zimmer zurück, kauere mich gegen die Wand, warte darauf, dass er angreift.
Seine Augen sind so menschlich, dass mir schwindelig wird. Ich habe in diese Augen geblickt, während e r … unglaubliche Dinge mit mir tat. Dinge, die mich stöhnend und mich windend um mehr betteln ließen. Hector hatte mich bewusst betört, und jetzt wusste ich auch, warum.
Unten ertönen Gewehrschüsse. Die Wölfe heulen. Der Geruch nach brennendem Fleisch und Flammen driftet zu mir hoch. Hector fletscht die
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