Wolfsinstinkt
starrte zurück. Eine ganze Weile standen sie einfach nur da und Ricky versuchte, das eben Gehörte irgendwie zu verarbeiten. Erst als Tala den Kopf abwandte und sich über die Augen fuhr, bekam Ricky den Mund auf.
„Soll das etwa heißen, dass ich mich in einen Wolf verwandeln werde?“
Tala seufzte schwer. Jeder Zorn und alle Wut waren von ihm gewichen. „Ich weiß es nicht, Ricky. Aber es kann gut angehen.“ Er unterbrach sich kurz und Ricky sah etwas über sein Gesicht huschen, das er nicht deuten konnte. War es vielleicht Hoffnung? Wollte Tala, dass auch in ihm ein Wolf steckte?
„Ich habe das Gefühl, dass es so ist“, fuhr Tala fort. „Aber ich kann mich natürlich auch irren.“
„Was soll das heißen? Du hast das Gefühl?"
Tala seufzte und rieb sich kurz über das leicht angespannte Gesicht. „Als Wolf bin ich in der Lage, andere Wölfe zu erkennen. Allgemein andere Wandler. Aber da du dich noch nie verwandelt hast, kann es auch sein, dass ich mir das nur einbilde, weil ich ...“
Er stockte, doch für Ricky war es nicht nötig, dass Tala weiter sprach.
„Weil du es dir wünschst.“ Diesen Schock musste Ricky erst einmal verdauen. Ihm schwirrte der Kopf. Aufregung und Ärger tobten zu gleichen Teilen in ihm. Er? Ein Wolf wie Tala? Hatte deswegen der weiße Wolf, den Tala Nashoba genannt hatte, ihn angegriffen? Weil er ihn in seinem Rudel haben wollte?
Ricky zwang seine Gedanken in halbwegs geordnete Bahnen. Das alles war jetzt nicht wichtig. Zuerst musste Tala versorgt werden.
Er war heilfroh, als sie sein Domizil erreichten. Auf Dauer war Tala wirklich schwer, nachdem er sich fast mit dem ganzen Gewicht auf ihm abstützte.
Mit zitternden Händen und ebenso zittrigen Beinen öffnete er die Tür und stürzte zusammen mit Tala halb ins Innere des Hauses.
„Leg dich hin!“, befahl er nach Luft schnappend. „Auf die Couch, nicht auf den Boden.“
Er vertraute darauf, dass Tala ausnahmsweise das tat, was ihm gesagt wurde, und machte sich auf den Weg ins Bad, um einmal mehr Verbandszeug für seinen Partner zu holen.
Im Bad warf er im Vorbeigehen einen Blick in den Spiegel, runzelte die Stirn, und schnappte sich den Verbandskasten. Vielleicht sollte er beim nächsten Einkauf seine Vorräte an Kompressen und Binden auffüllen. Es schien zur Gewohnheit zu werden, dass er Tala verarztete.
Mit Desinfektionsmittel und dem Verbandszeug bewaffnet lief er zurück ins Wohnzimmer und kniete sich neben Tala. Behutsam öffnete er das lederne Hemd und die weiche Lederhose, um die Schäden genauer zu betrachten. Es war nicht so schlimm, wie es zuerst den Eindruck gemacht hatte. Einige der Wunden hatten bereits aufgehört zu bluten, die anderen bluteten lediglich schwach.
„Hast du besondere Heilkräfte?“, fragte er überrascht, weil er sich das alles wesentlich tragischer vorgestellt hatte.
Tala lachte leise und schüttelte den Kopf. „Nur bedingt. Meine Überlebenschancen sind ein bisschen größer als die eines normalen Menschen. Ich stecke mehr weg, wenn du so willst, und eine etwas bessere Wundheilung habe ich ebenfalls.“
Ricky schüttelte mit erhobenen Brauen den Kopf und schwieg. Das war wirklich alles nicht mehr zu fassen. Da kam er nach Alaska, um sich selbst auf die rechte Bahn zurüc kzubringen und in Ruhe arbeiten zu können, und alles versank in Chaos. Er pflegte einen Wolf gesund, wurde von diesem Wolf in Menschengestalt besucht und vollkommen überrumpelt, und nun verarztete er seinen Partner, der bis an sein Lebensende bei ihm bleiben wollte. Dass Tala das ohne Weiteres tun würde, war für Ricky inzwischen keine Frage mehr. Schließlich hatte er gerade eben zugesehen, wie Tala sein Leben für ihn riskiert hatte.
Sanft reinigte er die Wunden und verband die Stellen, an denen es unbedingt nötig war.
„Komm her“, sagte er schließlich.
Tala beugte sich etwas vor und Ricky kümmerte sich liebevoll um die geschundene Lippe. Als er damit fertig war, sah er Tala einen Moment schweigend an, dann räumte er das restliche Verbandszeug weg.
„Ich bin also ein Wolf?“, fragte er schließlich.
Tala strich sich über den Verband am Handgelenk und nickte. „Ich glaube es, ja. Es war mir nicht von Anfang an klar, also glaube bitte nicht, dass ich nur deswegen bei dir bin, okay?“
Das war auf jeden Fall beruhigend.
Mit einem Seufzen ließ sich Ricky auf die Fersen zurücksinken und rieb sich über das Gesicht. Mit dieser Neuigkeit konnte er sich nach wie vor nicht anfreunden. Ein
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