Wolfsinstinkt
beiden sich über den Boden rollten, veränderte sich die Szenerie. Aus einem Kampf zwischen Wolf und Mensch wurde ein Kampf zwischen zwei riesigen Wölfen, die sich ineinander festbissen.
Wie gebannt beobachtete Ricky das Schauspiel, hörte das aggressive Aufeinanderklappen der Zähne, das ihm eine Gänsehaut nach der anderen verursachte. Er vergaß dabei fast, dass seine Kleider in Fetzen um ihn herum lagen und die Kälte sich allmählich in seine Haut fraß.
Wieder und wieder prallten die beiden Wölfe aufeinander, ein ums andere Mal ertönte ein gequältes Winseln, wenn einer der beiden den anderen erwischte und ihm die Fangzähne durch den Pelz schlug. Blut färbte sowohl das weiße Fell als auch das beigefarbene nach und nach rot und tränkte sogar den Schnee. Ricky konnte bald nicht mehr sagen, wann welcher Wolf im Vorteil war, ebenso wenig konnte er erkennen, welcher der beiden schwerer verletzt war.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, in der Ricky schockiert und fasziniert den Atem anhielt, dann lag der weiße Wolf winselnd unter Tala, der mit gefletschten und rot gefärbten Zähnen über ihm stand.
Ricky drehte sich der Magen um.
„Tala! Nicht!“, schrie er und kämpfte sich nun endlich auf die Beine. „Nein! Töte ihn nicht!“
Er rutschte aus, stürzte, rappelte sich blitzschnell in die Höhe, um zu den beiden Wölfen zu laufen und das Schlimmste zu verhindern. Neben ihnen fiel er auf die Knie und schlang seine Arme um Talas Hals, vergrub sein Gesicht in dem blutverklebten und nassen Fell.
„Lass ihn gehen“, bat er atemlos. „Er ist ein Wolf wie du. Er ... er wird mich in Ruhe lassen und nicht mehr herkommen. Lass ihn leben, Tala.“
Kaum hatte er geendet, spürte er eine Bewegung unter dem dicken Pelz. Tala streckte sich und wuchs, seine Schnauze zog sich in den Kopf zurück, die Fangzähne verschwanden, aus den Pfoten wurden Hände und Füße, bis Tala in seiner menschlichen Gestalt auf dem weißen Wolf saß und ihn in einem kräftigen Griff unten hielt.
Dankbar schloss Ricky die Augen und atmete erleichtert auf. Jedenfalls für die Zeit, bis er Talas Verletzungen entdeckte: unzählige blutende Bisswunden an Brust, Armen und Beinen, wo ihn der Weiße eben erwischt hatte.
„Lass dich hier nie wieder Blicken, Nashoba“, knurrte Tala bedrohlich. „Wenn ich dich auch nur ein einziges weiteres Mal in seiner Nähe wittere, werde ich dich umbringen!“
Der weiße Wolf wimmerte erbärmlich und unterwürfig.
Ricky zog sich die Hose richtig auf die Hüfte und legte die Hände an Talas Arm.
„Tala. Bitte. Lass uns gehen. Du bist verletzt“, flehte er.
Tala ließ sich Zeit mit dem Aufstehen. Langsam zog Ricky ihn von dem Wolf weg, der sich winselnd in die Höhe kämpfte. Humpelnd und klägliche Laute von sich gebend, verschwand der weiße Wolf im Wald. Erst als nichts mehr von ihm zu sehen und zu hören war, wandte Tala sich endlich um.
Ricky zog sich einen von Talas Armen um die Schultern und drückte sich an ihn, um ihn etwas zu stützen. Tala humpelte ganz entsetzlich, doch wenigstens schien dieses Mal nichts gebrochen zu sein.
„Danke“, flüsterte Ricky, als sie aus dem Wald kamen und auf das schützende Haus zusteuerten.
Tala brummte leise, sagte allerdings nichts. Stattdessen schob er eine Hand in Rickys Haar und krallte sich leicht hinein. Ricky spürte, dass er das nicht aus Schmerz tat. Er wollte nur nicht, dass sie getrennt wurden.
„Es geht mir gut. Keine Sorge“, sagte Ricky und lächelte leicht. Nun schaute Tala ihn an. Sein Blick war ernst und nahezu wütend. Seine Lippe blutete, sein Gesicht war blutverschmiert und sein Haar stand in alle Richtungen ab.
„Ja. Dir ist nichts passiert. Das hätte anders ausgehen können, Ricky! Ich habe dir von ihm erzählt! Du hast gesehen, was er mit mir gemacht hat! Und du marschierst einfach blindlings in den Wald? Bist du noch zu retten?!“ Tala brüllte ihn schon fast an, bis Ricky in sich zusammensank.
„Ich – “ Ricky brachte keine plausible Erklärung zustande. So wie Tala das jetzt auslegte, kam er sich vor wie ein dummer kleiner Junge – zum hundertsten Mal. Auf der anderen Seite ...
„Heißt das, du willst mich hier einsperren? Heißt das, ich darf mein Haus nicht verlassen, wenn du nicht bei mir bist?!“
„Ja, verdammt! Genau das heißt es! Du bist ein gefundenes Fressen für Wölfe und Bären, solange du dich nicht verwandeln kannst!“
Bedrückende Stille herrschte. Ricky starrte zu Tala empor und Tala
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