Wolfsinstinkt
daran, dass er Tala doch gern seiner Familie vorgestellt hätte. Allein schon um das entsetzte Gesicht seiner Mutter zu sehen. Aber dafür war es jetzt wohl zu spät.
„Gut“, erwiderte Tala in dieser Sekunde und riss Ricky damit aus seinen abschweifenden Überlegungen. „Dann verlassen wir euch in zwei Tagen.“
Erneut fiel ihm auf, dass er hier überhaupt kein Mitspracherecht zu haben schien, doch er hielt den Mund. Über solche Themen wollte er nicht vor Matoskah reden.
Zwei Tage, spukte ihm durch den Kopf. Zwei Tage, in denen sie Ruhe und Sicherheit genießen konnten. Auf einmal lag ihm die Aussicht auf eine unbekannte Zukunft wie ein Stein in seinem Magen, und Ricky holte tief Luft.
„Ist alles in Ordnung?“ Tala strich ihm durchs Haar.
Ricky nickte kurz, überlegte es sich dann anders.
„Nein“, sagte er. „Eigentlich nicht.“
Tala musterte ihn einen Augenblick, dann sah er kurz zu Matoskah.
Der alte Mann lächelte knapp und erhob sich. „Ich lasse euch besser alleine. Gebt mir Bescheid, wenn der Hase fertig ist, ja?“
Als sie ungestört waren, schaute Tala zu Ri cky herab und neigte den Kopf leicht zur Seite.
„Ich weiß, das geht alles ziemlich schnell, Ricky“, sagte er. „Nur haben wir im Grunde keine andere Wahl. Nashoba wird uns nicht in Ruhe lassen und du weißt, zu welchen Mitteln er greift. Erst hat er dich angegriffen, später ein ganzes Dorf.“
„Ich weiß“, erwiderte Ricky scharf.
„Aber es scheint, du musst daran erinnert werden, dass er eine Gefahr für uns darstellt. Wir müssen endlich eine Lösung finden.“
Ricky hasste diese spöttische, herablassende Art an seinem Geliebten.
„Und du glaubst, dass weglaufen die Lösung ist?“
„Wir laufen nicht weg, Ricky.“ Tala schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Wir schließen uns einem Rudel an, das uns helfen kann ihn loszuwerden. Wir sind hier genauso in Gefahr wie unterwegs. Abgesehen davon, dass wir hier noch immer meinen Stamm in Gefahr bringen und keine Chance haben, unsere Spuren zu verwischen. Unterwegs schon.“
„Warum hasst er dich so sehr?“ Es wurde wirklich Zeit, dass Tala ihm diese Frage beantwortete.
Tala runzelte die Stirn und brummte unwillig, dann begann er zu erzählen:
„Nashoba wuchs in einem anderen Stamm auf, ein paar Tagesmärsche von hier entfernt. Im Gegensatz zu mir ist er in seinen Stamm hineingeboren worden. Er war der Wächter seines Stammes und mehrerer Dörfer auf der anderen Seite des Waldes. Eines Tages kam eine Horde Fremder, Nashoba befand sich gerade auf Patrouille bei den Dörfern. D ie Fremden, Abgesandte eines Ölkonzerns, trafen auf die Indianersiedlung, die an einem Flussabschnitt lag, von dem behauptet wurde, er läge an einem Ölreservoir. Sie wollten das Land haben, um im Fluss in Ruhe ihre Probebohrungen zu machen, und duldeten die Indianer nicht in diesem Gebiet. Verhandlungen für eine Umsiedlung wurden nur halbherzig geführt und schlugen fehl. Und dann behauptete einer der Männer, wichtige Geräte wären verschwunden und er hätte ein paar Indianer in der Nähe des Geländes gesehen. Natürlich, die Männer fischten schließlich in dem Fluss … Die Ölarbeiter fingen an, die angeblich diebischen Indianer zu jagen wie Wild. Sie hetzten sie, töteten sie. Frauen, Kinder, Kranke, es war ihnen egal. Zum Schluss gingen die Hütten in Flammen auf. Nashoba kam zu spät, um noch etwas zu retten – und ich weiß bis heute nicht, ob er nicht aus Feigheit zu spät kam. Doch selbst wenn er rechtzeitig gekommen wäre, er hätte wahrscheinlich nichts ändern können. Er gab mir die Schuld für das, was geschehen war. Ich als Weißer hätte den Männern des Ölkonzerns etwas erzählt und sie zu dem Fluss geführt. Seitdem hasst und jagt er mich, um mich zu töten.“
Talas Stimme war zum Schluss hin so leise geworden, dass Ricky Mühe hatte, ihn zu verstehen. Die Betroffenheit über die längst vergangenen Ereignisse waren Tala deutlich ins Gesicht geschrieben, und Ricky legte den Arm um seinen Geliebten, um ihn ein wenig zu trösten.
Er konnte verstehen, warum alle es für das Beste hielten, wenn sie in die Berge gingen, trotzdem war er nicht begeistert. Je länger er darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm der Plan.
„Ich habe einfach das Gefühl, d ass etwas schief gehen wird. Versteh mich bitte nicht falsch: Ich würde dir überall hin folgen – wenn ich auch vielleicht gerne vorher gefragt werden würde – aber in die Berge? Mal abgesehen von den
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