Wolfsinstinkt
Gefahren der Reise: Ist dir klar, was ich alles zurücklasse?“
Tala ließ den Kopf hängen und seufzte schwer.
„Ich lasse genauso viel zurück“, erwiderte er leise. „Oder glaubst du, dass es mir leicht fällt, einfach zu gehen? Meine Familie zu verlassen?“
Tala atmete tief durch und lächelte wackelig. „Es wird alles gut gehen. Ganz sicher. Wir sind nicht völlig schutzlos da draußen. Und wer weiß, es wird sicher nicht für immer sein, dass wir in den Bergen sind.“
Das alles war schön und gut, doch Ricky hatte einen beklemmenden Druck im Magen, wenn er an die nächsten Tage dachte – und an Nashoba. Wenn der Weg wirklich so weit war, hatte der weiße Wolf viel Zeit, sie anzugreifen. Wenn es dumm lief, würde er sich eventuell mit einem Verletzten durch die Wildnis schleppen müssen – sofern er es überhaupt noch konnte! – auf einem Weg, den er nicht kannte, zu einer Siedlung, von der er nicht wusste, ob es sie tatsächlich gab. Nein, das war keine Aussicht, die ihn Freudensprünge veranstalten ließ.
„Erzähl mir von der Zuflucht!“, forderte er Tala auf, um zumindest ein klein wenig Sicherheit zu bekommen.
Doch Tala grinste nur. „Lass dich einfach überraschen.“
Er schluckte und schaute Tala resigniert an, zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
„Ich werde mich an den Gedanken schon gewöhnen“, sagte er mit bebender Stimme. „Ich hab ja noch zwei Tage Zeit.“
Außerdem war es nicht so, dass er Tala nicht folgen wollte. Das Letzte, was er zulassen würde, war, dass Tala zusätzliche Gefahren bevorstünden, und alleine ziehen lassen würde er ihn mit Sicherheit nicht. Er wollte sich nicht mehr von Tala trennen.
„Das wirst du. Und ich werde das ebenfalls.“ Tala beugte sich vor und drückte Ricky einen Kuss auf die Stirn. Ricky lächelte leicht und schmiegte sich an den starken Körper. Talas Haut war warm. Ricky hingegen hatte seit ein paar Minuten eine hartnäckige Gänsehaut auf den Armen, die sicher nichts mit den frischen Brisen zu tun hatte, die hin und wieder durch die Bäume fegten.
Er versuchte einfach an etwas anderes zu denken und begutachtete deshalb den Hasen am Feuer.
„Wie lange werden die noch brauchen? Das riecht wirklich gut.“
Tala folgte Rickys Blick. „Eine Stunde, etwa. Es waren junge.“
Ricky wusste nicht, weshalb sich ihm bei diesem letzten Satz der Magen schmerzhaft zusammenzog. Er erklärte es mit Hunger, obwohl er sich fast sicher war, dass es nicht daran lag.
Matoskah kam zurück und setzte sich ein wenig schwerfällig zu ihnen. Heute war er nicht so agil und die Jugend, die er an dem alten Mann so bewundert hatte, fehlte ihm gänzlich, fand Ricky. Vermutlich steckte selbst dem Schamanen der bevorstehende Abschied in den Knochen.
Aus den Augenwinkeln sah Ricky Ashkii auf sie zukommen – und drehte Talas Gesicht mit beiden Händen zu sich, um ihm einen zärtlichen Kuss zu geben. Trotz Waffenstillstand wollte er nicht, dass sein Geliebter dem hübschen Jungen hinterher schaute.
Es funktionierte, auch wenn Talas Lächeln dabei preisgab, dass er den Grund für diese Aktion kannte. Wahrscheinlich hatte er Ashkii gerochen. Darüber machte Ricky sich allerdings keine Gedanken mehr.
„Ihr seid wirklich ein hübsches Paar.“
Ricky wandte sich überrascht zu Matoskah und lächelte verlegen.
„Danke“, sagte er. Wieder spürte er eine leichte Röt e auf den Wangen.
„Und erlaubt mir die Anmerkung“, fuhr Matoskah fort, „dass man genau merkt, wie gut ihr zusammenpasst. Tala, mein Junge. Du hast einen Partner für dich gefunden. Erinnerst du dich, wie lange du daran gezweifelt hast?“
Nun war es Tala, der rot wurde. Ricky schmunzelte.
„Ja, Vater. Ich weiß. Aber so etwas einem Teenager zu sagen, dem gerade erst klar geworden ist, dass er keinerlei Interesse an Frauen hat, kann nun mal zu Zweifeln führen“, sagte Tala. Er drückte Ricky etwas dichter an sich.
Ricky konnte sich gut vorstellen, was Tala damit meinte. Als ihm klar geworden war, dass Brüste ihn kalt ließen und er auf Schwänze stand, hatte er ebenfalls nicht glauben können, jemals einen Mann fürs Leben zu finden. Die Suche nach so einem hatte er nicht einmal begonnen. Bis Tala aufgetaucht war.
Obwohl Ricky keine Zweifel mehr daran hatte, dass es vollkommen richtig gewesen war, seinem inneren Drängen zu folgen und nach Alaska zu ziehen, ließ sich die Unsicherheit, die er jetzt empfand, nicht wegleugnen. Mit einem Seufzen verdrängte er diese
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