Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
verließ den Pfad zu Johannes, ging in die Grotte hinein und setzte sich. Sie betrachtete die rauen Wände, versuchte sich zu erinnern, wie Johannes und sie ihre unterschiedlichen Sammlungen hier angelegt hatten. Das machte sie nur traurig.
Ich kann nirgendwohin gehen.
Die Wörter wollten nicht aus ihr herauskommen, sie liefen im Kreis herum und herum und ließen sie an nichts anderes denken. Eingehüllt in die Wörter ging sie zum Haus zurück, schüttelte im Flur die Schuhe von den Füßen, ging weiter zu ihrem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie nahm sich ein leeres Notizbuch, das sie zu ihrem elften Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und schrieb die Wörter ganz oben auf die erste Seite:
Ich kann nirgendwohin gehen.
Sofort fanden sich ein paar neue Wörter ein, und sie schrieb sie ebenfalls auf:
Es gibt keinen Weg.
Sie kaute am Stift und betrachtete die Wörter. Sie konnte wieder denken und versuchte, einen Satz zu finden, der zu den anderen passte. Schließlich entschied sie sich für:
Trotzdem muss ich gehen.
Sie legte den Stift zur Seite und las still, was sie bisher geschrieben hatte. Dann las sie es laut.
Ich kann nirgendwohin gehen.
Es gibt keinen Weg.
Trotzdem muss ich gehen.
Es klang gut. Es klang beinahe wie ein richtiges Gedicht. In gewisser Weise fühlte sie sich erleichtert, nachdem sie es aufgeschrieben hatte. Als würde es nicht mehr von ihr handeln. Oder, doch, es handelte von ihr, aber auf eine feinere Art. Als wäre sie Teil von etwas Großem, wenn sie einfach nur dastand und nicht wusste, was sie tun sollte.
Sie blätterte durch das Buch. Es war ein schönes Buch mit Ledereinband und mindestens achtzig cremefarbenen, leeren Seiten. Sie spürte einen Sog im Bauch, als sie sich vorstellte, dass all diese Seiten voll wären. Mit ihren Worten, ihren Sätzen. Nachdem sie noch eine Weile am Stift gekaut hatte, schrieb sie:
Es muss einen anderen geben.
Dann arbeitete sie weiter an dem Gedanken, bis sie das Ende der Seite erreicht hatte. Sie blätterte um und schrieb weiter.
10
Der Sommer zwischen der fünften und sechsten Klasse war anders als der vorherige. Teresa bekam Brüste und unter Johannes’ Achseln zeigten sich flaumige Haarbüschel. Wenn sie an einen abgelegenen Ort radelten, um dort zu baden, schämten sie sich, wenn sie sich voreinander umzogen, und Teresa hasste es. Es war so unnötig.
Eines Tages, als sie neben dem See auf einer Klippe saßen und sich von der Sonne trocknen ließen, schlang Teresa ihre Arme um die Beine, legte das Kinn auf die Knie und sagte: »Johannes. Bist du in mich verliebt?«
Johannes sperrte die Augen auf und sah sie an, als hätte sieihn allen Ernstes gefragt, ob er vom Saturn gekommen sei, und er antwortete mit einem nachdrücklichen »Nein!«
»Gut. Ich bin nämlich auch nicht in dich verliebt. Aber warum ist es dann so komisch?«
Teresa hatte Angst, dass Johannes es einfach leugnen würde, dass er nicht verstehen wollte, was sie meinte. Stattdessen kniff er seine Augen zusammen, so sehr konzentrierte er sich, schaute über das Wasser und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
Teresa betrachtete seinen schmächtigen, blassen Körper mit den deutlich hervorstehenden Kniescheiben, seinem spitzen Kinn und der hohen Stirn. Seine mädchenhaft fülligen Lippen. Nee. Das war nicht ihr Typ. Gegen ihren Willen fand sie, dass diese struppigen und eher lässigen Jungs am hübschesten waren.
Sie fragte: »Willst du mich küssen?«
»Nicht direkt.«
»Aber trotzdem.«
Johannes wandte sich ihr zu. Er musterte ihr Gesicht auf der Suche nach Signalen dafür, dass sie Scherze machte. Er fand sie nicht. »Warum?«
Teresa zuckte mit den Schultern. Sie betrachtete seine weichen, runden Lippen, und es kribbelte in ihrem Bauch. Sie war tatsächlich nicht einmal ein bisschen verliebt in ihn, aber sie wollte wissen, wie sich diese Lippen anfühlten.
Johannes lächelte geniert und zuckte ebenfalls mit den Schultern. Er beugte sich vor und legte seine Lippen auf die ihren. Das Kribbeln in Teresas Bauch wurde stärker. Die Lippen waren trocken und warm wie die Kruste eines frisch gebackenen Brotes. Dann spürte sie seine Zunge zwischen ihren Zähnen und zog den Kopf zurück.
»Was machst du da!«
Johannes’ Blicke flatterten, und seine Wangen liefen rot an. »Wir sollten uns doch küssen.«
»Ja, aber nicht so .«
»Aber so macht man das.«
»Wenn man verliebt ist, ja, aber wir sind ja nicht verliebt.«
Johannes zog sich zu einer
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