Wolfskrieger: Roman (German Edition)
Der alte Mann schlug ihm so heftig auf die Schulter, dass der Prinz wünschte, er hätte den Mund gehalten.
Ageirr kicherte leise. Oben rührte sich etwas, offenbar war er nicht allein. Wahrscheinlich einige Kumpane aus Gabelbarts Leibwache. Der Wortführer spähte in die Grube hinunter.
»Was ich getan habe, scheint dich ja nicht weiter zu stören. Ist sie wirklich so eine Schlampe?«
»Adisla würde dich nicht einmal anschauen, Jarl Ageirr; sie zieht Männer von höherer Geburt vor.«
Ageirr biss die Zähne zusammen. »Ich bin ein Jarl und dir ebenbürtig«, sagte er.
»Seit wann ist ein Jarl das Gleiche wie ein Prinz, der von Odin abstammt? Sag mir, hat dein Vater deiner Mutter die Freiheit geschenkt, nachdem er sie mit dir geschwängert hatte, oder schon vorher? Oder stimmt es, was man so hört, dass sie den Knecht Kobbi geliebt hat und dass du sein Kind bist?«
»Welcher dänische Bock wird wohl Adisla schwängern?«, sagte Ageirr. »Sie wird von hier bis Haithabu geritten, und wenn sie dort verkauft wird, dann wird sie weiter von dort bis zu ihrem Ziel geritten.«
Vali hatte sich bisher sehr bemüht, nicht an das zu denken, was mit Adisla geschah.
»Wenn du zu deinen Worten stehst, dann komm runter in die Grube, und wir reden auf die gute alte Art und Weise darüber«, knurrte Bragi.
»Ach, halt den Mund«, erwiderte Ageirr. »Ich will doch nicht, dass irgendjemand auf das kleine Geschenk aufmerksam wird, das wir euch mitgebracht haben. Aber nein, das Dorf ist weit genug weg, und es wird sowieso niemand hören. «
»Wo sind die Wächter?«
»Wir sind die Wächter.«
Sie schleiften etwas über den Boden, dann unterhielt Ageirr sich leise mit dem anderen Mann.
»Nimm ihm den Sack vom Kopf ab und wirf ihn rein. Nein, du Idiot, schneide die Fesseln an den Beinen durch, aber halte die Schnauze fest. Ich will doch nicht, dass mich das Biest beißt.«
Es gab einen leisen Klagelaut, den Vali schon einmal vernommen hatte. Er wusste jetzt, was sie hatten: Es war ein Wolf.
»Gabelbart wird wissen wollen, wie der Wolf zu uns in die Grube gekommen ist«, gab er zu bedenken.
»Er ist wohl einfach hineingefallen. Du weißt ja, wie die Wölfe sind«, entgegnete Ageirr. »Sie schleichen sogar an den aufmerksamsten Wachen vorbei. Wenn ihr ihn tötet, sagen wir einfach, er sei hineingefallen. Einem Brudermörder wird der König sowieso nichts glauben.«
Die Worte trafen Vali wie ein Dolchstoß. Ageirr mochte versuchen, ihn auf alle möglichen Arten zu demütigen. Das konnte er als die boshaften Attacken eines Dummkopfs abtun, doch nichts war so bitter wie die Wahrheit, dass er einen aus seinem eigenen Volk ermordet hatte.
Vali hörte wieder ein Scharren über der Grube, dann schob sich etwas vor den Ausschnitt des Himmels, und etwas Schweres fiel herab. Instinktiv zuckte er zurück und hob die Hände, um das Gesicht vor dem Angriff des Wolfs zu schützen, doch es geschah nichts.
Er hörte einen Ruf, dann das Schleifen, als jemand das Schwert aus der Scheide zog.
»Wer ist da? Wer ist da? Nein, nein!«
Wieder stürzte ein Körper herab, dieser war nass.
In der Grube konnte man nicht viel erkennen, doch das Licht reichte für Vali völlig aus. Allerdings hatte sein Verstand Mühe, das zu begreifen, was die Augen ihm zeigten. Quer über seinen Beinen lag der tote Ageirr.
Außerdem war noch ein anderer Mann in die Grube gestürzt. Er hieß Signiuti und gehörte zu Gabelbarts Leibwache. Aus einer Halswunde spritzte das Blut. Er war mit dem Rücken voran auf Bragi gefallen und hatte noch das Schwert in der Hand. Seine Kehle war verschwunden, einfach herausgerissen. Vali schob Ageirrs Leichnam weg. An seinen weißen Händen blieb glänzendes Blut kleben, das im fahlen Mondlicht schwarz erschien.
Bragi rappelte sich auf und nahm Ageirr das Schwert ab. Wieder spähte jemand zu ihnen herunter. Zuerst dachte Vali, es sei ein Wolf. Dann stellten sich seine Augen darauf ein. Es war sein eigenes Gesicht, eingerahmt von einem Wolfsfell.
»Könntest du vielleicht aufhören, Leichen herunterzuwerfen? «, raunte Bragi. »Oder, wenn du schon dabei bist, wirf noch mehr herein, bis wir uns auf sie stellen und herausklettern können.«
Als eine Leiter in die Grube herabgelassen wurde, brauchten sie keine zweite Einladung. Bragi stieg zuerst hinauf. Vali nahm Signiutis Schwert an sich und folgte dem alten Kämpfer.
Als er den Kopf über den Rand der Grube schob, konnte er Bragi sehen, der unsicher vor dem Wolfsmann stand.
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