Wolfskrieger: Roman (German Edition)
Persönlichkeiten. Wie ein Marktplatz waren seine Gedanken, wo die Verkäufer sich überschrien, um die Kunden anzulocken. Lauter als alle anderen hörte er die klagende Stimme des Wolfs, die ihm die Richtung wies und seinen Körper antrieb.
Oben gerieten die Männer in Panik und wollten hastig die Felsplatte, die ihn eingesperrt hatte, über das Loch schieben, doch niemand konnte sie anheben. So gaben sie auf und flohen.
Mit einem einzigen Sprung war der Wolf aus der Grube heraus. Einige stellten sich ihm in den Weg. Sie schrien und schlugen ihn, also fegte er sie weg, zermalmte sie zwischen den Kiefern und stillte mit ihren Säften und dem Blut den Hunger, der sich in seiner langen Gefangenschaft aufgebaut hatte.
Als sie alle tot waren, legte er sich hin, müde und schwer von dem, was er sich einverleibt hatte. Die Gedanken wurden träge, und sein Körper wuchs, während er unter dem kalten Mond und dem grünen Himmelsfeuer in der erbarmungslosen Dunkelheit des Winters das Mahl verdaute.
Er war nicht mehr Vali. Sein Körper war wie ein seltsames Musikinstrument, und der Prinz war nur noch eine Melodie, die es spielen konnte. In diesem Moment spielte er sie nicht, auch lange danach nicht mehr. Erst wieder, als er ihren Schrei hörte, das gequälte Heulen, das ihn im Tier wieder zum Leben erwachen ließ.
In der untersten Höhle der Trollwand schien es Adisla, als liege sie auf einem schönen Strohbett, das mit weichen Fellen bedeckt war. Sie war wieder daheim, ihre Mutter war da, auch der Däne Barth, Manni und ihre anderen Brüder. Die Ruhe, die sie in Gegenwart der Herrin überkam, fühlte sich an wie das behagliche Bett an einem Wintermorgen.
Die Hexenkönigin verlangte, dass sie Vali rief. Adisla sprach seinen Namen aus. Die Hexe blickte ihr in die Augen und strich ihr über die Haare. Adisla sollte den Namen wiederholen, so viel begriff sie, und sie tat es gern, nachdem die Herrin so freundlich zu ihr gewesen war.
Die Hexenkönigin blickte auf Adisla hinab und nickte nachdenklich. Sie hatte versucht, durch das Mädchen zu arbeiten, Adislas zärtliche Gedanken zu ordnen, sie zum Wolf zu schicken und ihn damit anzulocken. Anscheinend war dies nicht möglich.
Gullveig dachte an die gezackte Rune und schauderte. Ihre Gegenwart wirkte fast wie ein Gift, oder als müsste sie verbrennen und zugrunde gehen, wenn sie das Bild zu lange festhielt. Rasch sandte sie das Symbol in den Geist des Mädchens, das vor ihr hockte.
Adisla schrie, als die Illusion zerbrach. Sie war überhaupt nicht im Bett. Es gab kein Zuhause und keine liebevolle Familie. Sie war am Ende einer sich verengenden Höhle an einen schmalen, scharfkantigen Felsvorsprung gefesselt. Die Steine schnitten sie, und das unstete Licht der Öllampen warf Schatten, die sich wie lange, grausame Finger ausstreckten, um sie zu zerreißen. Sie hatte große Schmerzen.
Als die Rune von der Hexe auf sie überging, verstand Adisla endlich, welche Absicht damit verbunden war. Sie sah Visionen vom Tod – ihren eigenen Tod, Valis Tod, Feilegs und Bragis Tod in diesem und in anderen Leben, fortgesetzt durch alle Zeiten. Sie erkannte auch, was die Hexe selbst nicht sah. Sie entdeckte Gullveigs wahren Namen, und dieses Wissen war schrecklicher als die Seile, die sie fesselten, schrecklicher als die scharfen Kanten der Steine, noch schrecklicher als der verwandelte, blutrünstige Vali. Adisla verstand, dass sie für die Hexe Vali rufen sollte, und nun wusste sie auch den Grund.
»Das werde ich nicht tun«, sagte sie.
Jemand erschien in ihrem Blickfeld. Es war nicht die Herrin, sondern ein bleiches, schreckliches Kind mit uraltem Gesicht. Die Hexenkönigin öffnete ihren Geist, und es war, als hätten sich alle Geister und Ängste, die Adisla mit sich herumschleppte, erhoben, um sie zu packen und in den Abgrund zu zerren. Sie sah ihre sterbende Mutter, den toten Manni in der Tür, den geifernden, knurrenden Vali in der Grube. In ihrer Verzweiflung, weil die Alpträume sie überschwemmten, tastete Adisla nach irgendetwas, an das sie sich klammern konnte, damit die grässlichen Bilder verschwanden. Die Rune, die sich schimmernd vor ihr drehte, schien die Rettung zu verheißen, auch wenn sie nicht wusste, woher diese Eingebung kam. Sie starrte das Symbol an, konzentrierte sich darauf und erkannte sofort, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Ein grelles weißes Licht blendete ihre Augen, während die Rune ihrem Geist ein glühendes Brandeisen
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