Wolfskrieger: Roman (German Edition)
aufprägte.
Ein Heulen, das aus tiefster Seele kam, brach aus ihr hervor. Es war mehr als ein Laut, es war eine magische Kraft. Vali, der als Wolf auf dem Fels schlief, hörte es, wie die Hexe es beabsichtigt hatte, und verstand die Bedeutung. Der Ruf riss ihn augenblicklich aus der Trägheit der Verdauung. Er stellte sich auf die Hinterbeine und blickte nach Südwesten.
Feileg hatte es ebenfalls vernommen, als er Authun und Saitada von der Trollwand aus beobachtet hatte, und im gleichen Augenblick beschlossen, den Wanderern um den Berg herum zu folgen.
Die Hexe war erfreut. Ihre Magie konnte den Wolf nicht mehr rufen, dazu war er zu mächtig, doch die Magie, die der Wolf dank seiner Verbindung mit dem Mädchen selbst gewirkt hatte, reichte aus. Er würde kommen, dachte sie, und tun, was sie von ihm wollte.
Auf der Insel erinnerte Vali sich an Adisla und an all das, was sie ihm einmal bedeutet hatte. Sie schwebte in Gefahr, und er musste zu ihr. Der Kanal zwischen der Insel und dem Festland stellte für ihn kein Hindernis dar, die weiten Ebenen und die Gebirgspässe waren leicht zu überwinden, Fjorde und Sümpfe, Täler oder Klippen konnten ihn nicht aufhalten. Er überwand die Entfernung mit federnden Sprüngen, verschlang die Strecke zwischen dem Mädchen und ihm selbst, rannte mit einer Geschwindigkeit, die kein Mensch und nicht einmal ein Vogel erreichen konnte, zum Ursprung des Schreis.
Der Widerhall ihrer Qualen führte ihn wie ein Strom, dem er bis zur Quelle folgen konnte. Die frostkalte Nacht des hohen Nordens hellte sich zu einer bleichen Dämmerung auf, Höfe und Schlitten huschten vorbei, er eilte durch Wälder und erschreckte Rentierherden auf den Ebenen, sank wie eine Sternschnuppe von den Bergen herab und flog unermüdlich seinem Ziel entgegen.
Erst in den Höhlen wurde er langsamer und zwängte sich durch die Gänge. Allein die Willenskraft trieb ihn an. Er dachte nicht einmal darüber nach, wohin er wollte. Adislas Schrei rief ihn, das war genug. Während er sich durch die engen Höhlen quetschte, kam Vali wieder zu sich, wenngleich er es nicht mehr seltsam fand, dass er die Gestalt eines riesigen Wolfs angenommen hatte und unzählige Witterungen auffing. Als die Erinnerungen erwachten, wurden seine Qualen nur noch stärker. Die Frau, die er liebte, musste schrecklich leiden, und der einzige Sinn seines Lebens bestand darin, sie zu finden und ihr Leiden zu lindern.
Auf einmal stand er in einer Höhle voller Gold vor seinem Vater Authun. Vali versuchte ihm zu erklären, dass Adisla in Gefahr schwebte. Ihm war klar, dass sein Vater seine Sorge um ein Bauernmädchen nicht teilen würde, doch er wollte ihn anflehen, diese Vorbehalte zu vergessen und ihm zu helfen. Dann griff Authun ihn an, und es war, als wäre Vali ein ohnmächtiger Passagier im eigenen Körper. Wirkungslos verhallte sein Protest, als der Wolf zum Gegenangriff überging.
Wieder bedrängten ihn die Stimmen, wieder ertönte das schreckliche Heulen des Wolfs in seinem Kopf. Der Laut entsprach ihm und war zugleich ein Ausdruck seiner Liebe für Adisla. In der Wut des Tiers, das er geworden war, ging Vali unter. Authun sank zu Boden, der Schild war zerschmettert, die Waffe verloren. Vali dämmerte ein wie ein müder Reiter an einem heißen Tag, der es seinem Pferd überlässt, den Weg zu finden.
»Hilf mir.« Es war ihre Stimme.
Authun schlug ihn mit irgendetwas. Er spürte es nicht.
»Hilf mir.«
Vali regte sich wieder und wollte den Wolfskörper zwingen, dem Ruf zu folgen.
»Hilf mir!«
Der Wolf hielt in seinem Angriff inne und stand keuchend vor dem alten Krieger. Authun blieb nicht liegen, sondern rollte sich weg, hin zu dem Schatz, wo er ein mit Edelsteinen geschmücktes Schwert fand. Er fuhr herum und schlug beidhändig nach dem Rücken des Tiers.
Das Schwert traf das Rückgrat des Wolfs und zerbrach. Vali spürte nichts. Mit einem Schlag seiner Vorderpfote warf er Authun zu Boden.
»Hilf mir!« Endlich war Vali wieder Herr seiner Bewegungen. Er zog sich aus dem Kampf zurück und rannte den Gang hinunter zu Adisla.
55
Fenrisulfur
I nzwischen war Feileg übel vor Schmerzen, er musste anhalten. Nach mehreren Atemzügen humpelte er weiter. Es roch nach Tran, da unten hatte jemand eine Lampe. Ja, er konnte einen schwachen Schein erkennen. Er schob sich weiter zum Licht, bis sich der Gang zu einem schmalen Spalt verengte. Er atmete aus und quetschte sich hindurch.
Die Höhle war kaum größer als ein Langhaus. An
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