Wolfskrieger: Roman (German Edition)
er schlich in den Hügeln um die Gehöfte und versuchte, eine Ente oder ein Schwein zu schnappen. Er hatte Angst, entdeckt zu werden, weil die Bauernhöfe dicht beieinanderstanden. Ein einziges Hornsignal konnte im Handumdrehen zwanzig oder dreißig bewaffnete Männer auf den Plan rufen.
Da stieß er auf die Ruine. Es war ein kleines Langhaus, das Wetter hatte das Dach durchlöchert. Da es regnete, suchte er drinnen Schutz. Plünderer – menschliche wie tierische – hatten alles mitgenommen, was von Wert war, doch es gab noch einige Spuren der ehemaligen Bewohner: eine gebrochen Spindel auf dem Boden, ein ausgetretener Schuh, sogar ein wackliger kleiner Schemel. Im hinteren Teil des Hauses wäre er besser geschützt gewesen, doch er blieb lieber vorn in der Nähe der Stelle, wo der Rauchabzug gewesen war. Er wusste nicht warum, doch irgendetwas bewegte ihn, den Hocker aufzustellen und sich zu setzen. Seit fast zehn Jahren hatte er kein Möbelstück mehr benutzt. Nun sah er es vor dem inneren Auge: seine Schwestern am Feuer, der mächtige Vater trank schweigend auf der Bank hinten im Raum, die Mutter flickte Kleider. Es war das Haus, in dem er bis zu seinem siebten Jahr gelebt hatte. Er wusste nicht, was er von den Gefühlen halten sollte, die durch die Erinnerungen geweckt wurden, lief in den Regen hinaus und kehrte nie zurück.
Mit sechzehn erwachte er im Dämmerlicht der Höhle und stand auf, um zu jagen. Kveldulf tippte ihm auf die Brust und gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass dieser Tag anders verlaufen würde als die anderen. Er führte Feileg durch zwei Täler zu einer Stelle, wo der älteste Wolf des Rudels in eine Bodenspalte gestürzt war und im Sterben lag. Die Männer stiegen hinab und hockten sich neben ihn. Die Augen des Wolfs waren trüb, der Atem ging flach. Kveldulf blickte Feileg an, der sofort begriff, dass der Geist des Wolfs mit seinem eigenen verschmelzen sollte.
Zwei Tage saßen die Männer da und sangen, schlugen die Trommel und schüttelten die Rasseln. Am dritten Tag kamen die Wölfe und stimmten in die Musik ein. Sie saßen in den Gängen aus Eis und heulten in einem seltsamen Chor ihren Jubel und die Trauer hinaus. Feileg, dem vor Müdigkeit und vom Lärm fast schwindlig wurde, nahm den Kopf des Tiers auf den Schoß und streichelte ihm die Ohren, während es starb.
Er zitterte am ganzen Körper und schmeckte Blut. Eine eigenartige Sehnsucht erwachte in ihm, und nachdem die Welt unter den Sternen weit gewesen war, verengte sie sich jetzt, bis er nur noch einen schmalen Ausschnitt wahrnahm, der von einem unbändigen Hunger erfüllt war. Mit einem scharfen Stein schnitt er dem gefallenen Bruder das Fell herunter, riss die Eingeweide heraus und aß das Herz und die Leber. Dann hüllte er sich in das blutige Fell und blickte unter dem Wolfsgesicht hervor, wie es der Wolf selbst getan hatte. Er war der Wolf.
Danach hatte Feileg keine Geschichte mehr, es gab keinen Fortschritt und keine Ereignisse, die einen Tag vom anderen unterschieden hätten. Er jagte und aß, er schlief und saß heulend unter den Sternen. Er war ein Teil der Natur, bewegte sich mit dem Wind unter der Sonne und hatte so wenig ein Eigenleben wie der Schaum der Brandung.
Dann aber, zu Mittsommer, als die Sonne nicht untergehen wollte und es nicht mehr richtig dunkel wurde, kam sein Doppelgänger, und sein Leben änderte sich abermals und unwiderruflich.
10
Die Braut des toten Gottes
W as hast du gesagt?« Vali drehte sich zum Sprecher um. Es war Ageirr, einer von Gabelbarts treuesten Leibwächtern. Der Mann war ungefähr neunzehn, also zwei Jahre älter als Vali, aber nicht viel größer.
Seit dem Raubzug waren mehr als drei Jahre vergangen – drei Jahre, in denen Vali sich kaum weiter als eine halbe Tagesreise von den Gehöften entfernt hatte. Er hatte Gabelbart gedrängt, ihn auf eine Handelsmission zu schicken, er hatte ihn sogar um Erlaubnis gebeten, eigene Raubzüge befehligen zu dürfen, doch der König hatte sich unerbittlich gezeigt. Vali sollte als gewöhnlicher Krieger ausziehen und kämpfen oder bleiben, wo er war. Also ging Vali überhaupt nicht mehr auf Reisen.
Es gab viele Gründe für seine Weigerung. Einer war der, dass er sich nicht an einem sinnlosen Gemetzel beteiligen wollte, wenn es viel einfachere Wege gab, Beute zu machen. Er hatte sich den Profit ausgerechnet, den sie beim Überfall vergeudet hatten. Inzwischen wusste er, dass es sich um ein Kloster gehandelt hatte. Allein für
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