Wolfskuss - Handeland, L: Wolfskuss
um zu verdeutlichen, was ich meine.
„… ist Dr. Bozeman dienstags nicht hier.“
„Abe r … “
„Nie.“
„Es gab einen Zwischenfall.“
„Dessen bin ich mir bewusst.“
„Er konnte nicht heute kommen und stattdessen morgen freimachen?“
„Im Gegensatz zu Ihren Klienten, Officer, laufen die von Dr. Bozeman nicht weg, wenn er gerade nicht hinsieht. Sie werden noch immer hier sein, wenn er eintrifft.“
Kleinstädte. Man muss sie einfach lieben. Oder wahlweise durchdrehen, wenn man in einer lebt.
Als ich das Büro verließ – nachdem ich meinen Namen, verschiedene Telefonnummern und die Bitte um Bozemans Abschlussbericht hinterlassen hatt e – , knallte ich die Tür hinter mir zu. Kindisch, ich weiß, aber ich konnte nicht anders.
Der nächste Punkt auf meiner Liste war, einen Experten für indianische Totems ausfindig zu machen. Das gestaltete sich schwieriger, als ich angenommen hatte, angesichts der Tatsache, dass ich in einem Bezirk lebte, der sich im Vergleich zu anderen mit einem indianischen Bevölkerungsanteil von fünfzig Prozent rühmen durfte. Aber ich konnte auch nicht einfach in den Coffee Pot auf der Center Street marschieren und den Besitzer fragen, wo sich ein solcher Experte auftreiben ließ.
Zee, die für gewöhnlich alles wusste, kannte keinen. Wie die meisten Einwohner war auch sie kein großer Fan der Indianer. Die hatten ihr Leben, sie selbst hatte ihrs, und das sollte sich nicht vermischen. Dies war die weit verbreitete Meinung unter den alten Leuten auf beiden Seiten des Zauns, und unter allzu vielen jungen ebenfalls.
Ich könnte zum Reservat rausfahren und mich dort umhören, aber mein bester Tipp war die Universität von Miniwa. Erbaut auf dem größten Stück Land am anderen Ende des Clearwater Lake, war sie früher ein Internat gewesen, damals, als die Regierung die indianischen Kinder von ihren Eltern weggeholt und versucht hatte, sie zu Weißen umzuerziehen.
Jedes Mal, wenn ich die Schule sah, krümmte ich mich innerlich. Was hatten sie sich nur dabei gedacht ?
Sie hatten gar nichts gedacht. Dann endlich hatte jemand die Idee als das erkannt, was sie wa r – eine Idioti e – , und die ganzen Kinder waren dorthin zurückgeschickt worden, woher sie gekommen waren. Die Gebäude waren allmählich wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung übergeben worden. Dem Lernen.
Die Miniwa University war in erster Linie eine Fakultät der Geisteswissenschaften; trotzdem unterrichteten dort viele der einheimischen, indianischen Wissenschaftler und auch einige von anderen Stämmen für ein oder zwei Semester als Gastdozenten.
Ich war zuversichtlich, dass irgendwer irgendwen kennen würde, der irgendwas über das Totem in meiner Tasche wusste.
Ich behielt recht. Nach nur fünf Minuten wies man mir den Weg zum Büro von William Cadotte, eines Gastprofessors aus Minnesota, der praktischerweise ein Experte auf dem Gebiet indianischer Totems war.
Ich kannte den Namen. Cadotte war außerdem ein Aktivist und Verfechter alter Traditionen, der bei vielen als Unruhestifter galt. Clyde führte ihn auf unserer internen schwarzen Liste, doch aus welchem Grund genau, wusste ich nicht.
Ich folgte der Wegbeschreibung zu einem Eckbüro. Der Name William Cadotte klebte auf einen Zettel gekritzelt an der Wand. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Ich lugte hindurch.
Der Raum hatte die Größe einer Besenkammer, und auf den Stühlen stapelten sich Bücher. Kleine Stücke Holz, Metall und Stein lagen über die Schreibtischoberfläche verteilt. Da es kein Fenster gab, roch die Luft abgestanden; die Beleuchtung war düster.
Ich hörte ein Rascheln, richtete mich auf und trat einen Schritt zurück. Er war da drinnen. Ich klopfte an.
Ich erwartete, dass es sich bei Dr. Cadotte um einen älteren Mann mit faltigem braunem Gesicht, Händen, auf denen sich deutlich die Adern abzeichneten, und einem hüftlangen, eisengrauen Pferdeschwanz handeln würde. Aber Fehlanzeige.
Die Tür schwang auf. Im ersten Moment erkannte ich ihn nicht. Aber schließlich war er jetzt angezogen.
5
Er zog eine Braue hoch. „Hatten Sie Sehnsucht nach mir?“
Ich zwängte mich an ihm vorbei in das Büro, aber da war sonst niemand. „Was haben Sie mit Dr. Cadotte gemacht?“
Sein Ohrring tanzte, als er den Kopf schräg legte. „Gemacht?“
Er trug jetzt außerdem eine Brille. Kein Wunder, dass ich ihn nicht erkannt hatte. Nicht dass das kleine, runde Drahtgestell von der puren Schönheit seines Gesichts oder der
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