Wolfskuss - Handeland, L: Wolfskuss
erschöpft, benommen, unleidlicher als sonst. Ich wollte Mandenauer noch eine weitere Frage stelle n – sie lag mir auf der Zunge.
„Oh!“ Ich schlug mir gegen die Stirn, zwang mich dann, die Hand runterzunehmen, um Mandenauer sehen zu können. „Ich habe in Atlanta angerufen.“
Er reagierte nicht.
„Die Seuchenschutzbehörde?“
Er spreizte seine knochigen Finger weit auseinander.
„Irgendwas ist da komisch.“
„Ich habe die Seuchenschutzbehörde nie für sehr komisch gehalten.“
„Exakt. Bei meinem ersten Anruf hatten sie schon von dem Virus gehört. Als ich wieder anrief und noch mal mit dieser Ärztin sprechen wollte, hatten sie noch nie von ihr gehört.“
Mandenauer und Clyde tauschten einen Blick.
„Klingt,alshätteSiejemandaufdenArmgenommen,Jessie.“
„Bei der Seuchenschutzbehörde?“
„Wann haben Sie das letzte Mal geschlafen?“
„Ich weiß es nicht mehr.“
„Gehen Sie schlafen.“ Mandenauer drehte mich zur Tür um. „Vergessen Sie alles, nur nicht, dass wir Ihren Wald von diesen Wölfen befreien werden. Heute Abend jagen wir bei Dämmerung.“
„Bei Dämmerung?“
„Der Zeitpunkt, wenn die Sonne untergeht.“
„Ich weiß, wann die verdammte Dämmerung ist. Aber warum?“
„Weil da die Wölfe zum Leben erwachen. Ich werde Sie eine Stunde zuvor zu Hause abholen.“
„Schön. Wie Sie meinen.“
Ich dachte über meinen ersten Anruf bei der Seuchenschutzbehörde nach. Hatte mich wirklich jemand auf den Arm genommen? Wie war das möglich?
Eine Fangschaltung? Wurden meine Anrufe abgehört?
Steckt mich mit Oliver Stone in dieselbe Gummizelle, vielen Dank.
26
Als ich meine Wohnungstür aufsperrte, war von Cadotte weit und breit nichts zu sehen. Ich überprüfte meine Nachrichten. Keine einzig e – weder auf meinem Anrufbeantworter noch auf meinem Handy. Seltsam.
Aber er würde die Mitteilung bekommen, die ich ihm hinterlassen hatte. Ich war so müde, dass ich den ganzen technischen Schnickschnack ausschaltete und sofort ins Bett fiel. Ich hatte ein weiteres Prachtexemplar von einem Traum.
Ich war bei Mels Beerdigung. Geschlossener Sarg, aus naheliegenden Gründen.
Cadotte war bei mir. Er hatte sich in Schale geworfen. Der dunkle Anzug ließ sein Haar noch dunkler wirken.
IchtrugmeineUniform,wasnichtseltsamwar.AberdassCadottemeineHandhielt,schon.Undnochseltsame r … esgefielmir.
Wir saßen im hinteren Teil der Kirche. Ich erkannte an den Buntglasfenstern, dass es die am Stadtrand gelegene St. Dominic’s Church sein musste. Sie war voll von Menschen. Eine Welle des Mitgefühls kräuselte sich den ganzen Weg von der hintersten Bank zur vordersten, wo Cherry saß, herausgeputzt mit mörderisch hohen Stöckelschuhen, einem Seidenkleid und einem Hut mit Schleier.
Der Priester kam langsam zum Ende. Ich versuchte, mich auf ihn zu konzentrieren. Aber aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Sarg sich bewegte. Bevor ich den Blick abwenden konnte, wurde der Deckel aufgestoßen, und Mel sprang heraus.
Zumindest glaube ich, dass es Mel war. Er war jetzt ein Wolf. Gigantisch groß, muskulös, geschmeidig und blond.
Die Menschen fingen an zu schreien und zu flüchten, aber er beachtete sie nicht. Stattdessen machte er sich daran, die in der vordersten Kirchenbank zu verschlingen.
„Sieht das für dich wie Tollwut aus?“, fragte Cadotte.
Ich hasste es, wenn ich mich irrte. Hasste es umso mehr, wenn mein Irrtum Menschenleben kostete. Ich stürmt e – ungehindert, da nach der typischen Art von Träumen alle anderen verschwunden ware n – nach vorn.
„Mel!“, schrie ich, als er gerade anfing, sich über das Gesicht eines Trauergasts herzumachen.
Er sah auf. Die Augen des Wolfs waren die von Mel. Das Blut, das von seiner Schnauze tropfte, beendete jedes Zaudern, das ich vielleicht empfunden hatte.
Ich leerte mein ganzes Magazin in ihn. Er zuckte nicht. Er starb nicht.
Stattdessen ließ er von seiner Vorspeise ab und stürzte sich auf mich.
Ich erwachte von einem Klopfen an meiner Tü r – ein Echo des Pochens in meinem Herzen und in meinem Kopf. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich den gesamten Tag verschlafen hatte. Der schräge Lichteinfall verriet mir, wer an der Tür war. Mandenauer war überpünktlich.
Da ich in meiner Uniform eingeschlafen war, musste ich, um mich zur Arbeit fertig zu machen, nichts weiter tun, als mein Gewehr und meine Pistole mit Silber anstelle von Blei zu laden. Mandenauers Patronengurt war ein regelrechtes
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