Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
überschwänglich.
Shila erwiderte die Umarmung sanft. »Jetzt fehlen nur noch die Schuhe!«, sagte sie und wühlte in den Tüten herum. »Ich hoffe bloß, sie passen!«, murmelte sie leise. Aus einer der Tüten zog sie einen großen Karton heraus, öffnete ihn und zog rote Schühchen heraus, die sie Tikia demonstrativ hinhielt.
Neugierig musterte Tikia die Schuhe. Wie das Kleid glänzten auch sie in einem strahlenden Rot. Sie waren flach, und als Tikia sie anzog, fühlten sich ihre Füße unglaublich leicht an. »Meine Schuhe sind dagegen echte Holzklötze«, scherzte sie vergnügt.
»Gefallen sie dir?«, fragte Shila vorsichtig.
»Sie sind traumhaft! Alles ist traumhaft!«, rief Tikia begeistert. Überglücklich drehte sie sich im Kreis herum und musterte ihr Spiegelbild von allen Seiten. Noch nie im Leben hatte sie sich so wunderschön gefühlt. »Ich komm mir vor wie eine Prinzessin!«, schwärmte sie.
»Das bist du ja auch!«, sagte Shila liebevoll. »Du bist meine kleine Prinzessin!« Lächelnd betrachtete Shila die junge Frau und sah sich selbst, wie sie in Tikias Alter ihr erstes Abendkleid getragen hatte. Es war von einem satten Königsblau gewesen, und ihrer Meinung nach hatte es die Kleider der anderen Mädchen alle in den Schatten gestellt.
»Kenzô wird dir alle wichtigen Tanzschritte beibringen. Er wird dich sicher gerne zum Tanz begleiten!«, sagte Shila lächelnd.
»Kenzô …« , dachte Tikia betrübt.
»Was ist los, Kleines?«, fragte Shila besorgt und trat zu ihr.
Tikia wollte ihr gerade von ihrem Streit mit Kenzô erzählen, da hörte sie, wie der Schlüssel im Türschloss umgedreht wurde. Die Tür flog auf, und Kenzô trat mit grimmiger Miene herein.
»Hallo, Kenzô!«, rief Shila ihrem Sohn vergnügt zu. »Sieht Tikia nicht zauberhaft aus?«
Kenzô musterte Tikia abschätzend.
Das seidene rote Kleid passte sich ihrer schmalen Taille perfekt an und betonte ihre schlanke Figur. Sie sah absolut umwerfend aus mit den langen braunen Haaren, die ihr verspielt um die Schultern fielen.
»Sie ist wunderschön«, dachte Kenzô fasziniert.
Koon jaulte leise auf, und Kenzôs Blick heftete sich auf den Wolf.
»Kenzô?«, fragte Shila auffordernd.
»Ja … Sie sieht nicht schlecht aus …«, murrte er. Mit starrem Blick ging er an Tikia vorbei, die sich auf den Treppenansatz zurückgezogen hatte.
»Schämst du dich nicht, dich hier wie eine Schmarotzerin aufzuführen? Das hatten deine Eltern wohl auch satt, was?«, flüsterte Kenzô so leise, dass nur Tikia es verstehen konnte.
Tikias Herz setzte für einen Moment aus. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Warum war er bloß so gemein zu ihr und raubte ihr jegliche Freude?
»Was ist? Willst du dieses Biest jetzt wieder auf mich hetzen?«, höhnte Kenzô leise. »An deiner Stelle würde ich lieber aufpassen, nachher merkt Shila noch, was für eine verdorbene kleine Mistgöre du bist!«
Tikias Blick wurde leer. Tränen sammelten sich in ihren Augen.
»Es wird sowieso nicht mehr allzu lange dauern, bis sie dich vor die Tür setzt. Sie wird es irgendwann genauso satt mit dir haben, wie deine Eltern dich satthatten. Hast wohl nur Unglück und Leid über sie gebracht!«, flüsterte er leise.
»Was gibt’s denn da zu flüstern?«, fragte Shila neugierig.
»Nichts, Mutter!«, sagte Kenzô lächelnd in ihre Richtung und ging auf sie zu.
Tikias Hände fingen an zu zittern. Koon drückte sich leise winselnd an sie und leckte sanft über ihre rechte Hand. »Unglück … Leid …« , dachte sie beklommen. »Er hat recht. Ich habe ihnen bloß geschadet!« Sie ballte ihre Fäuste. »Ich bin schuld am Tod meiner Familie. Hätte ich sie gewarnt, wären sie jetzt nicht …« Undeutlich vernahm Tikia wieder das furchtbare Jaulen aus jener Nacht und schloss ängstlich die Augen. Doch sie vermochte die schrecklichen Erinnerungen nicht zu verdrängen. Schluchzend presste sie ihre zitternden Hände auf ihre Ohren und versuchte verzweifelt, das Jaulen in ihrem Kopf zu unterdrücken. Sie schaute zu Shila, die sie besorgt beobachtete.
»Ist alles in Ordnung, Tikia?«
Doch Tikia war erneut Gefangene ihrer eigenen Erinnerungen geworden. Sie schluchzte verzweifelt auf. »Ich weiß nicht, ob sie es satt mit mir hatten!«
Kenzô blickte sie erschrocken an.
»Ich hatte nie die Gelegenheit, sie danach zu fragen … Ich hatte nämlich nicht das wundervolle Leben, das du hast, Kenzô!«
Shila blickte ihren Sohn verständnislos an. »Was hast du zu ihr
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