Wolfslied Roman
drannehmen.«
»Also warte ab, bis du dran bist, Marlene«, meldete sich Jerome scharf zu Wort und bedachte Marlene mit einem grimmigen Blick. Der ehemalige Manhattaner Geschäftsmann trug wie immer ein rotes Flanellhemd, einen weit geschnittenen Overall und Arbeitsstiefel. Doch an diesem Tag schien er seine übliche charmante Unsere-kleine-Farm -Attitüde zu Hause gelassen zu haben. In geradezu klassischer Wall-Street-Manier bugsierte er die drei Leute, die eigentlich vor ihm an der Reihe gewesen wären, beiseite und gab dabei acht, den Tiertransportkäfig auf keinen Fall unnötig hin und her schwanken zu lassen. Was auch immer
sich darin befinden mochte - es gab jedenfalls ein schauderhaftes leises Stöhnen von sich und spuckte dann durch die Gitterstäbe, als wollte es einen unsichtbaren Feind in die Flucht schlagen.
»Aber Baby ist doch so krank«, sagte Marlene. Sie klang ernsthaft besorgt um ihren neuen Liebling. »Sie leidet immer wieder unter Zuckungen. Und wenn sie aufsteht, wirkt sie ganz anders als sonst. Sie scheint mich kaum zu erkennen. Es ist schrecklich!«
»Das ist aber seltsam«, meinte an dieser Stelle ein Mädchen mit lila gefärbten Stirnfransen und schwarz umrandeten Augen. »Mein Welpe macht das auch.« Sie zeigte auf einen apathisch wirkenden Labrador, der neben ihr auf dem Boden saß. »Und etwas scheint mit ihren Ohren nicht zu stimmen. Sie kratzt sich immer wieder, und sie stehen ständig hoch, als würde sie horchen. Sehen Sie nur.«
Tatsächlich begann sich der Labrador wie verrückt an den Ohren zu kratzen, die für einen Moment hochstanden und ihm einen beinahe wölfischen Ausdruck verliehen.
»Baby verhält sich genauso«, erklärte Marlene. »Und ich glaube, sie hat auch Probleme mit ihren Beinen. Sie jault jedes Mal auf, wenn ich sie auf den Boden setze.«
Und dann demonstrierte sie uns, was sie meinte. Als sie versuchte, den Pekinesen auf den Boden zu stellen, bellte dieser schmerzhaft auf und fiel zur Seite. Erst jetzt konnte ich sehen, dass das rosa Kleidchen an einer Seite aufgerissen war. Offenbar entwuchs Baby bereits dem Geschmack seiner Mutter, was die Klamotten betraf.
»Für einen Pekinesen hat sie auffallend lange Beine«, fand die junge Frau mit dem lila Pony. »Vielleicht tun sie ihr deshalb weh.«
»Ich bin mir sicher, dass sie früher keine so langen Beine hatte«, erwiderte Marlene und betrachtete ihren Welpen. »Man hat mir versichert, dass sie reinrassig ist. Aber Sie haben Recht. Jetzt fällt es mir auch auf: Ihre Beine sind eindeutig länger geworden. Und ihr Schwanz ebenfalls. Können Schwänze denn wieder nachwachsen?«
Kayla, die ich bisher gar nicht bemerkt hatte, drängte sich nach vorn. Na großartig - alle meine Lieblinge auf einmal! Die Kellnerin aus dem Moondoggie’s , die mindestens drei Kilo zugenommen hatte und aus ihrer weißen Bluse und ihrem engen schwarzen Minirock zu platzen schien, hielt einen Malteser in den Armen. Seinen Ohren und dem Schwanz nach zu urteilen hatte zu seinen Vorfahren offensichtlich ein Kleinspitz gehört.
»Für mich hört sich das so an, als grassiere hier ein merkwürdiger Hundevirus«, sagte sie so leise, als schäme sie sich, die Stimme vor mir zu erheben. »Gibt es denn eine Krankheit, die den Schwanz und die Ohren eines Hundes sich … verändern lässt? Mein Malteser, Bonbon, fängt nämlich schon an, irgendwie wölfisch auszusehen.«
Malachy warf mir einen besorgten Blick zu. »Ja, die gibt es«, gab er zögerlich zu. »Aber ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass so viele verschiedene Hunderassen alle auf einmal davon befallen sind.«
»Werden sie denn gefährlich?« Marlene starrte ihren Pekinesen entsetzt an. »Ich habe gelesen, dass man eine Städterin oben auf ihrem Grundstück am Old Scolder Mountain tot aufgefunden hat. Den Zeitungen zufolge wurde sie von einem Bären angegriffen. Aber vielleicht waren es ja auch ihre eigenen Hunde, die sie umgebracht haben.«
Für einen Augenblick glaubte ich erneut das Menschenblut
riechen zu können, das ich am Old Scolder Mountain so deutlich wahrgenommen hatte. Es ist also eine Städterin gewesen, dachte ich.
»Und wie sieht es mit Katzen und Luchsen aus? Kann sich dieser Virus auch auf solche Tiere übertragen? Meine Miss Priss benimmt sich nämlich ebenfalls sehr seltsam, und auch ihr Schwanz und ihre Hinterläufe entwickeln sich seit einiger Zeit recht … erstaunlich.«
Malachy und ich wandten uns Jerome zu, der jetzt das Gitter seines
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