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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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ich mich nicht gerade professionell gelassen verhielt, wie sich das für eine Ärztin eigentlich gehört hätte, aber der Anblick schockierte mich einfach. Bisher hatte ich noch nie erlebt, dass Red von einem der Tiere, die er aus ihren Verstecken scheuchte, derart verletzt worden war. Irgendetwas musste da schiefgelaufen sein.
    »Was mich erwischt hat, war garantiert nicht tollwütig.«
    Wie auf ein Kommando hin fiel in diesem Augenblick etwas im Nebenzimmer kreischend von der Decke. Für einen Augenblick glaubte ich, dass es die Fledermaus gewesen sein musste. Doch dann fiel mir ein, dass Red sie ja zuvor ins Schlafzimmer gesperrt hatte.
    »Gütiger Himmel«, rief Malachy erschrocken. »Was war denn das?«
    »Das war Rocky«, erwiderte ich, während ich mich verblüfft neben dem jungen Waschbär niederkniete. Red hatte Rocky im vergangenen Sommer das Leben gerettet, als er den niedlichen Kleinen am Straßenrand aufklauben musste, wo er schwer verletzt gelegen hatte. Inzwischen war Rocky fast ein Jahr alt, wog über zehn Kilo und wirkte gesund und kräftig genug, um allein zu leben. Doch der Ruf der Wildnis wurde vom Ruf unserer Küche deutlich übertönt, denn er zeigte nicht die geringste Lust, wieder auszuziehen. Unser Waschbär schätzte seine Kohlenhydrate.

    Zurzeit lag er allerdings verblüfft auf dem Boden und berührte mit den kleinen schwarzen Pfoten vorsichtig sein Gesicht. Ich blickte nach oben, um zu sehen, von wo er heruntergefallen sein musste. Offenbar hatte er sich an der Kette der größten Gaslampe in der Mitte des Wohnzimmers festgeklammert. Ich hatte keine Ahnung, wie er unbemerkt dorthin gelangt war, wenn es mich auch nicht erstaunte. Waschbären mögen ja entzückend aussehen, aber diese Augenmaske ist keineswegs eine niedliche Kostümierung. Es sind Wildtiere, und sie verstehen es ausgezeichnet, sich heimlich von einem Ort zum anderen zu schleichen und zwischendurch immer wieder ein gewaltiges Chaos zu veranstalten.
    Ich streichelte Rockys schwarz-weiß gesprenkeltes Fell, um ihn gleichzeitig nach Verletzungen abzusuchen. Zum Glück besaß er infolge seiner ständigen Küchenraubzüge genügend Fettpolster. »Was hast du denn da oben gemacht, du kleiner Trottel?«
    Er erhob sich auf seine Hinterbeine und gab eine Reihe kleiner Knurrlaute von sich, die Red galten. Fast konnte man glauben, er würde seinem Ziehvater eine Standpauke halten. Das war nichts Ungewöhnliches. Im Gegensatz zu Ladyhawke hatte Rocky zwar nichts gegen mich, aber wie die meisten Waldbewohner, die Red gerettet hatte, zeigte auch der Waschbär eine Vorliebe für den Mann in diesem Haus. Vermutlich brachten mich die Tiere mit Spritzen und Pillen in Verbindung, wohingegen Red sie fütterte und tröstete.
    Red gab jetzt mehrere weiche summende Laute von sich, die ein Wort oder auch ein ganzer Satz sein konnten. Der Waschbär beruhigte sich. Red streichelte ihn an der Seite
seines Maskengesichts, wie man das bei Katzen tut, und murmelte noch einmal etwas Unverständliches. Rocky wirkte besänftigt. Mit einem leisen Schnurren marschierte er zu unserer Kommode, kletterte hinauf und machte es sich in einer offen stehenden Schublade bequem.
    »Sie haben ihn gut erzogen«, sagte Malachy und beobachtete, wie Rocky sich zwischen Reds Wintersocken legte. Dank seiner scharfen kleinen Krallen hatten die Socken inzwischen alle Löcher. Wahrscheinlich ahnte der Waschbär, was ich mit ihm machen würde, wenn er es wagte, sich in der Schublade mit meiner Unterwäsche niederzulassen.
    »Ich habe ihn nicht erzogen«, entgegnete Red. »Wir verstehen uns einfach.«
    Rocky legte sich in den Socken zurück, wobei die Schnauze über den Rand der Schublade hing, so dass er uns mit seinen schwarzen, glitzernden Augen beobachten konnte. Red sah ihn an, während er die Muskeln seines verletzten Arms gedankenverloren anspannte, als wollte er ausprobieren, wie heftig die Schmerzen waren.
    In der Aufregung hatte ich Reds Verletzung für einen Moment ganz vergessen. »Setz dich da drüben hin«, bat ich ihn jetzt. »Ich möchte mir das genauer ansehen.«
    Red protestierte nicht, als ich ihn an der Hand fasste und seinen Arm unter die Lupe nahm. Was auch immer seine Zähne in seine Haut geschlagen haben mochte, es hatte weder zugebissen noch den Kopf geschüttelt, wie das Hunde manchmal tun. Die Bisse sahen klein und sauber aus, waren aber offensichtlich entzündet.
    »Also, jetzt sag mir, welches Tier das war und weshalb du dir so sicher bist, dass es

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